Die deutsche Polikik bis Fuli 1870. 511
licher Entscheidung entgegensetzten. Die Aufhebung der Zinsbeschränkungen,
der Schuldhaft und des Lohnarrestes schuf in wichtigen Beziehungen des
volkswirthschaftlichen Verkehrs gleiches Recht, das Handelsgesetzbuch und die
Wechselordnung wurden zu Bundesgesetzen erhoben, und beide wurden zu-
sammen mit den Gesetzen über Actiengesellschaften und über das Urheber-
recht von geistigen Erzeugnissen unter den Schutz eines obersten Bundes-
gerichtshofs gestellt, der im. Sommer 1870 aus ausgezeichneten Krästen
der Juristenwelt zu Leipzig gebildet wurde. Die umfassendste Schöpfung
aber auf dem Boden der deutschen Reichseinheit war das norddeutsche
Strafgesetzbuch, das, trotz der viel bestrittenen Veibehaltung der Todesstrafe,
von allen Sachkennern als eine Leistung ersten Nanges bezeichnet wird und
zwar nicht bloß unter dem Gesichtspunkt seiner nationalen Bedentung.
Bei all diesen verheißungsvollen Fortschritten des Einigungsprozesses
im Innern des neuen Deutschlands lastete schwer wie ein Verhängniß auf
den Gemüthern die noch immer ungelöste Frage des Anschlusses der-
süddeutschen Staaten an den Nordbund.
Wiederholt ward sie berührt, zweimal, Mai 1868 im Zollparla-
ment, Februar 1870 im Reichstag, ausführlich erörtert, und jedesmal zog
sich die nationale Partei, parlamentarisch geschlagen, mit dem stillen Gelöbniß
zurück, das der badische Minister Mathy äußerte, als ihm 1866 der Eintritt
in den Nordbund versagt ward: „Und wir thun dennoch unsere Schuldigkeit.“
Das Recht auf den Anschluß für jeden einzelnen dieser Staaten,
mit den übrigen oder ohne sie, stand zweifellos fest nach der Auslegung
des Prager Friedens, welche der norddeutsche Reichstag am 10. April
1867 durch Aufnahme der Verfassungsbestimmung gegeben (Art. 79):
„Der Eintritt der süddeutschen Staaten oder eines derselben in den Bund
erfolgt auf den Vorschlag des Bundespräsidiums im Wege der Gesetzgebung.“
Hienach war zur Lösung dieser Frage zweierlei vorausgesetzt: erstens
der entschiedene Wille einer oder aller süddeutschen Regierungen zum Ein-
tritt, und zweitens die zustimmende Erklärung des Bundespräsidiums, daß
der rechte Augenblick zur Aufnahme gekommen sei. Jenes hing ab von
dem Verlauf der nationalen Bewegung südlich vom Main, dieses aber von
Erwägungen der Weltlage, die, je ernster sie waren, desto weniger sich zu
einer öffentlichen Besprechung eigneten.
Daß die nationale Bewegung in Süddeutschland, auf sich selber
angewiesen, für's Erste nicht stark genug sein werde, dem unberechtigten
Particularismus sein Sadowa zu bereiten, das hatten die Wahlen zum