Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                       Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Unterthan oder geduldeter Mitbewohner. Zu dieser Selbständigkeit gehört eine 
festfundirte Souveränität; die alten Gründer Ihres Reiches haben sie dem 
Papst gegeben, Karl der Große und seine Nachfolger. Der Kirchenstaat ist 
durch die Verträge von 1815 wesentlich mit durch die Bemühungen Friedrich 
Wilhelm's III. wiederhergestellt worden. Wenn wir jetzt bei seiner Vernich- 
tung nichts mitsprechen wollen, wozu haben wir dann unser Ansehen? Das 
that uns ja gerade Noth, daß unser Wort im Auslande Achtung fand. Wenn 
Herr Völk meint, die Stämme würden ihre Eigenthümlichkeiten bewahren, so 
ist der Wunsch wohl da, nicht aber die Kraft gegenüber den centralisirenden 
Gelüsten unserer Bureaukratie. Die französischen Erfahrungen müssen uns 
doppelt besorgt machen. Ich schließe mit nochmaligem tiefen Bedauern unserer 
Uneinigkeit. (Beifall im Centrum.) Abg. Römer (Württemberg): Die beiden 
Entwürfe unterscheiden sich dadurch, daß der unserige der Freude über die 
die deutsche Einheit Ausdruck gibt, der andere nicht. Wir sagen über das 
Princip der Nichtintervention nichts Anderes, als die Thronrede. Nehmen 
die Italiener Rom und das Patrimonium Petri, wir werden sie weder unter- 
stützen noch hindern. Die Verträge von 1815 existiren nicht mehr, der hl. Stuhl 
ist gestürzt durch ein wesentlich katholisches Volk und unter dem Jubel zahlloser 
Katholiken. Jene Partei will Deutschland wehrlos machen; wir haben ihre Macht 
viel tiefer und schwerer bei uns empfunden, als Sie in Norddeutschland. 
Das Oberhaupt jener Herren ist kein Kaiser, sondern ein Priester; kein Deut- 
scher, sondern ein Fremdling; ihre Heimat ist nicht Deutschland, sondern Rom 
(heftiger Widerspruch); ja, es ist wahr (nein, es ist nicht wahr!). Stehen Sie 
zu Deutschland, indem Sie unsern Entwurf annehmen. (Beifall.) Die Dis- 
cussion wird mit einer Reihe persönlicher Bemerkungen, namentlich zwischen 
den Abgg. Miquel und Windhorst, geschlossen. Von den Antragstellern ver- 
langt nur Probst (Württemberg, demokr.-cler.) das Wort: Die Sehnsucht 
der deutschen Nation nach Einigung sei nicht erfüllt, so lange ein großer Theil 
der deutschen Nation, der in Oesterreich, von dem Bunde ausgeschlossen sei. 
Das möge ein Anfang zur Erfüllung sein, aber nicht die Erfüllung. In Be- 
treff der römischen Frage erkläre er, daß, wenn irgend wo eine Veranlassung 
zur Ausübung eines Einflusses im Sinne und Interesse zahlreicher Reichs- 
angehöriger gegeben, es hier der Fall sei. Uebrigens sei die ganze Frage an- 
geregt worden gerade durch die Gegner, seine Freunde hätten sie an dieser 
Stelle und heute noch gar nicht beantworten wollen. 
      Bei der Abstimmung wird der Entwurf Bennigsen etc. mit 243 
gegen 63 (clericale) Stimmen angenommen. 6 Polen enthalten sich. 
31. März. (Deutsches Reich.) Der Reichstag genehmigt die Einfüh- 
rung von 24 nordd. Bundesgesetzen als Reichsgesetze in Bayern, wobei 
die Vertreter von Bayern und Württemberg unter dem Beifall des 
Hauses auch die Einführung einer weiteren Anzahl von norddeutschen 
Gesetzen als Reichsgesetze in Bayern und Württemberg in baldige Aus- 
sicht stellen. 
—   „ (Preußen.) Die offiz. Prov.-Corresp. theilt mit, daß der Ab- 
schluß der Staatsrechnung für 1870 trotz des Krieges einen Ueber- 
schuß von 6 Mill. Thlrn. ergeben habe. 
1.—4. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Lesung der re- 
vidirten Reichsverfassung. Neuer Kampf zwischen der kath. Fraction 
einerseits und allen anderen Fractionen anderseits. Bei der Abstim- 
mung werden alle Anträge abgelehnt und die Vorlage nach dem An- 
trage des Bundesraths angenommen.
	        
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