94
Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Unterthan oder geduldeter Mitbewohner. Zu dieser Selbständigkeit gehört eine
festfundirte Souveränität; die alten Gründer Ihres Reiches haben sie dem
Papst gegeben, Karl der Große und seine Nachfolger. Der Kirchenstaat ist
durch die Verträge von 1815 wesentlich mit durch die Bemühungen Friedrich
Wilhelm's III. wiederhergestellt worden. Wenn wir jetzt bei seiner Vernich-
tung nichts mitsprechen wollen, wozu haben wir dann unser Ansehen? Das
that uns ja gerade Noth, daß unser Wort im Auslande Achtung fand. Wenn
Herr Völk meint, die Stämme würden ihre Eigenthümlichkeiten bewahren, so
ist der Wunsch wohl da, nicht aber die Kraft gegenüber den centralisirenden
Gelüsten unserer Bureaukratie. Die französischen Erfahrungen müssen uns
doppelt besorgt machen. Ich schließe mit nochmaligem tiefen Bedauern unserer
Uneinigkeit. (Beifall im Centrum.) Abg. Römer (Württemberg): Die beiden
Entwürfe unterscheiden sich dadurch, daß der unserige der Freude über die
die deutsche Einheit Ausdruck gibt, der andere nicht. Wir sagen über das
Princip der Nichtintervention nichts Anderes, als die Thronrede. Nehmen
die Italiener Rom und das Patrimonium Petri, wir werden sie weder unter-
stützen noch hindern. Die Verträge von 1815 existiren nicht mehr, der hl. Stuhl
ist gestürzt durch ein wesentlich katholisches Volk und unter dem Jubel zahlloser
Katholiken. Jene Partei will Deutschland wehrlos machen; wir haben ihre Macht
viel tiefer und schwerer bei uns empfunden, als Sie in Norddeutschland.
Das Oberhaupt jener Herren ist kein Kaiser, sondern ein Priester; kein Deut-
scher, sondern ein Fremdling; ihre Heimat ist nicht Deutschland, sondern Rom
(heftiger Widerspruch); ja, es ist wahr (nein, es ist nicht wahr!). Stehen Sie
zu Deutschland, indem Sie unsern Entwurf annehmen. (Beifall.) Die Dis-
cussion wird mit einer Reihe persönlicher Bemerkungen, namentlich zwischen
den Abgg. Miquel und Windhorst, geschlossen. Von den Antragstellern ver-
langt nur Probst (Württemberg, demokr.-cler.) das Wort: Die Sehnsucht
der deutschen Nation nach Einigung sei nicht erfüllt, so lange ein großer Theil
der deutschen Nation, der in Oesterreich, von dem Bunde ausgeschlossen sei.
Das möge ein Anfang zur Erfüllung sein, aber nicht die Erfüllung. In Be-
treff der römischen Frage erkläre er, daß, wenn irgend wo eine Veranlassung
zur Ausübung eines Einflusses im Sinne und Interesse zahlreicher Reichs-
angehöriger gegeben, es hier der Fall sei. Uebrigens sei die ganze Frage an-
geregt worden gerade durch die Gegner, seine Freunde hätten sie an dieser
Stelle und heute noch gar nicht beantworten wollen.
Bei der Abstimmung wird der Entwurf Bennigsen etc. mit 243
gegen 63 (clericale) Stimmen angenommen. 6 Polen enthalten sich.
31. März. (Deutsches Reich.) Der Reichstag genehmigt die Einfüh-
rung von 24 nordd. Bundesgesetzen als Reichsgesetze in Bayern, wobei
die Vertreter von Bayern und Württemberg unter dem Beifall des
Hauses auch die Einführung einer weiteren Anzahl von norddeutschen
Gesetzen als Reichsgesetze in Bayern und Württemberg in baldige Aus-
sicht stellen.
— „ (Preußen.) Die offiz. Prov.-Corresp. theilt mit, daß der Ab-
schluß der Staatsrechnung für 1870 trotz des Krieges einen Ueber-
schuß von 6 Mill. Thlrn. ergeben habe.
1.—4. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Lesung der re-
vidirten Reichsverfassung. Neuer Kampf zwischen der kath. Fraction
einerseits und allen anderen Fractionen anderseits. Bei der Abstim-
mung werden alle Anträge abgelehnt und die Vorlage nach dem An-
trage des Bundesraths angenommen.