Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                        Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Unterbrechung); ich kann Ihnen die Zeitungen beibringen, jetzt habe ich sie 
nicht hier. (Gelächter.) Die Feststellung der Religionsgesellschaften ist ein mäch- 
tiger Schritt zur Freiheit. Jedesmal, wenn die Kirche unterdrückt wurde, 
waren das unausbleibliche Resultat unerträgliche Zustände, wie die des vorigen 
Jahrhunderts. Wenn Sie unsern Antrag annehmen, so leisten Sie Deutsch- 
land einen doppelten Dienst: Sie helfen ihm zur Einheit und zur Freiheit. 
Löwe (Fortschritt): Die Antragsteller haben sich selber den Bezirk ihrer Wirk- 
samkeit zu eng bemessen. Vor allen Dingen müssen zwei Gebiete nothwendig 
ins Auge gefaßt werden, wenn von einem Reiche der Gerechtigkeit die Rede 
sein soll. Das eine Gebiet ist die Schule. Leider ist in der letzten Zeit der 
confessionelle Gegensatz sehr gegen den Geist der Verfassung in die Schule hin- 
eingetragen worden. Die Antragsteller, welche die Freiheit wahren wollen, haben 
gleichwohl eine Verwaltung unterstützt, die sich bestrebt hat, den confessionellen 
Unterschied zu verschärfen. Wenn es den Antragstellern ernst war mit dem 
Schutze der Freiheit, warum haben sie sich nicht an die Frankfurter Grund- 
rechte gewandt, welche den Satz enthalten: „Niemand ist verpflichtet, seine re- 
ligiöse Ueberzeugung zu offenbaren"? Aber auch ein zweites Gebiet muß bei 
der Auseinandersetzung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche berück- 
sichtigt werden. Das ist die Ehegesetzgebung. Warum ist der Satz von der 
Civilehe fortgelassen worden? Der Abg. v. Ketteler sagt, der Staat solle keine 
Gesetze geben, welche die Menschen zwingen, Rebellen gegen das Gottesgesetz 
zu werden. Was ist denn für ihn Gottesgesetz in dem Augenblick, wo die 
Infallibilität Gegenstand des Streites innerhalb der katholischen Kirche selber 
ist? Das ganze streitige Gebiet muß durch Einen Akt berichtigt werden, nicht 
daß zunächst ein Theil und zwar zu Gunsten einer Partei entschieden wird. 
Windthorst (clerical): Die Legitimation zu unsern Anträgen liegt in dem 
allgemein gestellten Verlangen der Religionsfreiheit für Alle. Sie bewegen sich 
allerdings auf sehr knapp zugemessenem Terrain, allein der Rahmen ist durch 
die Competenz des Bundes gegeben. Der Vorwurf, daß die kathol. Fraction 
die Mühler'sche Verwaltung unterstützt habe, wird am besten dadurch wider- 
legt, daß sie in der hannover'schen Schul- und in der hessischen Kirchenfrage 
jenes Ministerium bekämpfte. Den Satz: „Die Wissenschaft und ihre Lehre 
soll frei sein“ bin ich gerne bereit anzuerkennen. Für die Herren Lasker und 
Miquel könnte wohl die Zeit gekommen sein, eine Siesta zu halten, da ja ihr 
Geschäft, alle Staaten Norddeutschlands zu nivelliren, abgethan ist; für mich 
ist es keineswegs an der Zeit, mich der Errungenschaften zu erfreuen. Wenn 
man uns entgegenhält, daß nichts Zwingendes vorliege, gerade jetzt mit diesen 
Forderungen hervorzutreten, antworte ich, daß seit geraumer Zeit gewisse 
preußische Staatsmänner in Bezug auf religiöse Parität sehr reaktionäre 
Stimmungen offenbaren, und erinnere an die letzten Reskripte des preußischen 
Cultusministeriums. Aehnliche Grundsätze wurden auf der Tribüne und bei 
Wahlagitationen ausgesprochen. Den Cardinalpunkt jedoch hat Treitschke be- 
rührt, nach dessen Ansicht der Staat alleinige Quelle des Rechts ist. Das ist 
er keineswegs, vielmehr nur Schutz des bestehenden Rechts. Diese staatliche 
Omnipotenz führt folgerecht durchgeführt zum Kommunismus. v. Blancken- 
burg (kons.): Den Vorwurf der Nichtberücksichtigung der Interessen unserer 
katholischen Mitbürger lehne ich im Namen meiner Partei entschieden ab. 
Vermeiden Sie den bösen Schein, als sollten gerade jetzt in diesem ersten 
deutschen Reichstage die alten religiösen Kämpfe wieder erweckt werden, nachdem 
sie so lange bei uns geschwiegen. (Lebhafte Zustimmung.) Sie haben jüngst 
beansprucht, daß das neue deutsche Reich in Italien für die weltliche Herrschaft 
des Papstes interveniren solle. Heute stellen Sie den Grundsatz auf, daß die 
Kirche vollständig frei sein soll in ihren inneren Angelegenheiten. Ist denn 
die Stellung des Papstes keine innere Angelegenheit Ihrer Kirche? Halten 
Sie ihn für eine auswärtige Macht, wie kommt dann Ihre Fraktion zu dem 
Antrage, daß wir für diese auswärtige Macht interveniren sollen? (Beifall.)
	        
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