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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
mich haßt, fürchtet er die Revolution. Durch Ihre Debatten werden wir die
Grundrechte nicht bekommen, aber wir werden sie haben, ehe das 19. Jahr-
hundert zu Ende geht. (Gelächter.) Miquel (Nat.-Lib.): Ich verzichte darauf,
dem Vorredner zu antworten; in den Köpfen dieser Herren haben nur zwei
Gedanken Raum: Cäsarismus und Communismus. Vorerst sind sie, bei uns
wenigstens, nicht gefährlich. Beachtenswerther scheinen mir die Herren im
Centrum. Hr. v. Mallinckrodt beklagt sich über unser Mißtrauen gegen sie.
Ich möchte ihm rathen, ein wenig nachzusinnen, weßhalb wohl alle Parteien
ihnen gleich wenig trauen. Deutschland ist gegen den Willen dieser Herren
zu Stande gekommen, sie sind jetzt die Geschlagenen. Niemals haben wir aus
den Reihen ihrer Partei ein sympathisches Wort mit unserem großen Kampfe
gehört. Diejenige süddeutsche Partei, mit der Hr. Greil mindestens sehr nahe
verwandt ist, hat kurz vor Ausbruch des Krieges offen den Verrath gepredigt.
(Hört! hört!) (Redner verliest einige bezügliche Stellen aus bayrischen Blättern,
u. a. aus dem „Vaterland“.) Sähen wir in Norddeutschland eine nationale
katholische Partei, welche dies Treiben desavouirte, so hätte ich geschwiegen;
aber ich habe nie ein Wort vernommen, das die Tendenzen der süddeutschen
Gesinnungsgenossen verwarf. Nun kommen Sie mit großen Forderungen, die
kaum berechtigt wären, wenn Sie im Kampf an unserer Seite gestanden hätten.
Sie sprechen hier mit Begeisterung von Glaubens- und Gewissensfreiheit, und
dabei wurden in Spanien von Ihren Glaubensgenossen bis vor Kurzem noch
Protestanten eingekerkert; in Ihrem irdischen Paradiese, im Kirchenstaate selbst,
herrschte der ärgste Glaubenszwang. Die Anschauungen der Herren wechseln
eben mit den Ländern. Im Jahre 1848 glaubte die unerfahrene liberale
Partei für die bürgerliche Freiheit zu sorgen, wenn sie die Rechte des Staats
überall verminderte. Dieser irrigen Anschauung entsprang der Art. 15 und
schuf der katholischen Kirche in Preußen eine unerhörte Ausnahmestellung.
Die katholische Kirche ist nicht bloß eine religiöse Genossenschaft, sondern eine
politische Macht, die man nicht von Staatswegen behandeln kann wie einen
beliebigen Turnverein. Sie wollen doch nicht im Ernst Jemand glauben
machen, es sei jetzt in irgend einem deutschen Staate die Glaubens- und Ge-
wissensfreiheit ernstlich bedroht! Probst (clerical): Die Gründe, welche die
verschiedenen Fractionen gegen unseren Antrag vorgebracht haben, heben sich
gegenseitig auf. Die Einen fordern die Grundrechte vollständig, die Anderen
wollen gar nichts von ihnen wissen. Die einzige Ursache der Opposition aber
ist die, daß man der katholischen Kirche ihre Grundrechte nicht geben will.
Die weltliche Herrschaft des Papstes halte ich allerdings für eine politische
Nothwendigkeit, aber eine Wesenheit der katholischen Kirche ist sie nicht. Aber
ist es ein bloß katholisches Interesse, wenn die Katholiken nicht einem Papst
untergeben sein wollen, der dem Könige von Italien unterthan ist? Liegt Dieß
nicht im Interesse des Friedens? Sie sagen, Sie wollen den confessionellen
Streit aus der Welt schaffen. Wir wollen Dieß auch, und einzig zu diesem
Zweck haben wir unseren Antrag eingebracht. Ein tiefer Zwiespalt geht durch
die Welt, der Zwiespalt zwischen Glauben und Unglauben. Ich gebe zu, daß
ein Charakter ohne bestimmtes Glaubensbekenntniß bestehen kann, aber es ist
die Pflicht eines Jeden, die religiösen Ansichten seiner Mitbürger zu achten.
Noch ein zweiter Zwiespalt trennt unsere Nation, der Streit zwischen zwei
großen Confessionen. Machen wir unser Reich auch im Innern zu einem
Muster für alle Völker. Schaffen wir den ärgsten Zankapfel, den confessionellen
Streit, aus der Welt; geben wir jeder Confession die ganze volle Freiheit!
Frhr. v. Stauffenberg (Bayern, nat.-lib.): Mit der Ablehnung des An-
trags wird keineswegs eine Vergewaltigung der katholischen Kirche beabsichtigt.
Wir sind nur gegen ihn, weil wir die Auseinandersetzung zwischen Staat und
Kirche nicht in diesem Augenblicke und nicht in dieser Form wollen. Durch
die Annahme des Antrags werden die confessionellen Streitigkeiten nicht nur
nicht aus der Welt geschafft, sondern voraussichtlich durch einen so leicht miß-