Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                       Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
mich haßt, fürchtet er die Revolution. Durch Ihre Debatten werden wir die 
Grundrechte nicht bekommen, aber wir werden sie haben, ehe das 19. Jahr- 
hundert zu Ende geht. (Gelächter.) Miquel (Nat.-Lib.): Ich verzichte darauf, 
dem Vorredner zu antworten; in den Köpfen dieser Herren haben nur zwei 
Gedanken Raum: Cäsarismus und Communismus. Vorerst sind sie, bei uns 
wenigstens, nicht gefährlich. Beachtenswerther scheinen mir die Herren im 
Centrum. Hr. v. Mallinckrodt beklagt sich über unser Mißtrauen gegen sie. 
Ich möchte ihm rathen, ein wenig nachzusinnen, weßhalb wohl alle Parteien 
ihnen gleich wenig trauen. Deutschland ist gegen den Willen dieser Herren 
zu Stande gekommen, sie sind jetzt die Geschlagenen. Niemals haben wir aus 
den Reihen ihrer Partei ein sympathisches Wort mit unserem großen Kampfe 
gehört. Diejenige süddeutsche Partei, mit der Hr. Greil mindestens sehr nahe 
verwandt ist, hat kurz vor Ausbruch des Krieges offen den Verrath gepredigt. 
(Hört! hört!) (Redner verliest einige bezügliche Stellen aus bayrischen Blättern, 
u. a. aus dem „Vaterland“.) Sähen wir in Norddeutschland eine nationale 
katholische Partei, welche dies Treiben desavouirte, so hätte ich geschwiegen; 
aber ich habe nie ein Wort vernommen, das die Tendenzen der süddeutschen 
Gesinnungsgenossen verwarf. Nun kommen Sie mit großen Forderungen, die 
kaum berechtigt wären, wenn Sie im Kampf an unserer Seite gestanden hätten. 
Sie sprechen hier mit Begeisterung von Glaubens- und Gewissensfreiheit, und 
dabei wurden in Spanien von Ihren Glaubensgenossen bis vor Kurzem noch 
Protestanten eingekerkert; in Ihrem irdischen Paradiese, im Kirchenstaate selbst, 
herrschte der ärgste Glaubenszwang. Die Anschauungen der Herren wechseln 
eben mit den Ländern. Im Jahre 1848 glaubte die unerfahrene liberale 
Partei für die bürgerliche Freiheit zu sorgen, wenn sie die Rechte des Staats 
überall verminderte. Dieser irrigen Anschauung entsprang der Art. 15 und 
schuf der katholischen Kirche in Preußen eine unerhörte Ausnahmestellung. 
Die katholische Kirche ist nicht bloß eine religiöse Genossenschaft, sondern eine 
politische Macht, die man nicht von Staatswegen behandeln kann wie einen 
beliebigen Turnverein. Sie wollen doch nicht im Ernst Jemand glauben 
machen, es sei jetzt in irgend einem deutschen Staate die Glaubens- und Ge- 
wissensfreiheit ernstlich bedroht! Probst (clerical): Die Gründe, welche die 
verschiedenen Fractionen gegen unseren Antrag vorgebracht haben, heben sich 
gegenseitig auf. Die Einen fordern die Grundrechte vollständig, die Anderen 
wollen gar nichts von ihnen wissen. Die einzige Ursache der Opposition aber 
ist die, daß man der katholischen Kirche ihre Grundrechte nicht geben will. 
Die weltliche Herrschaft des Papstes halte ich allerdings für eine politische 
Nothwendigkeit, aber eine Wesenheit der katholischen Kirche ist sie nicht. Aber 
ist es ein bloß katholisches Interesse, wenn die Katholiken nicht einem Papst 
untergeben sein wollen, der dem Könige von Italien unterthan ist? Liegt Dieß 
nicht im Interesse des Friedens? Sie sagen, Sie wollen den confessionellen 
Streit aus der Welt schaffen. Wir wollen Dieß auch, und einzig zu diesem 
Zweck haben wir unseren Antrag eingebracht. Ein tiefer Zwiespalt geht durch 
die Welt, der Zwiespalt zwischen Glauben und Unglauben. Ich gebe zu, daß 
ein Charakter ohne bestimmtes Glaubensbekenntniß bestehen kann, aber es ist 
die Pflicht eines Jeden, die religiösen Ansichten seiner Mitbürger zu achten. 
Noch ein zweiter Zwiespalt trennt unsere Nation, der Streit zwischen zwei 
großen Confessionen. Machen wir unser Reich auch im Innern zu einem 
Muster für alle Völker. Schaffen wir den ärgsten Zankapfel, den confessionellen 
Streit, aus der Welt; geben wir jeder Confession die ganze volle Freiheit! 
Frhr. v. Stauffenberg (Bayern, nat.-lib.): Mit der Ablehnung des An- 
trags wird keineswegs eine Vergewaltigung der katholischen Kirche beabsichtigt. 
Wir sind nur gegen ihn, weil wir die Auseinandersetzung zwischen Staat und 
Kirche nicht in diesem Augenblicke und nicht in dieser Form wollen. Durch 
die Annahme des Antrags werden die confessionellen Streitigkeiten nicht nur 
nicht aus der Welt geschafft, sondern voraussichtlich durch einen so leicht miß-
	        
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