Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 113
In jedem Einzelstaate gibt es einen Verschluß, der nur durch den Willen der
Krone oder der Majorität des Ministeriums zu öffnen ist. Für den Bundes-
rath öffnen sich alle 25, und ich habe vieles in ihm gelernt, wie ja auch das
große Preußen von dem kleinsten Mitgliede des Bundes gelernt hat. Tasten
Sie daher dieses Palladium unserer Zukunft nicht an!
20. April. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Ausschuß erstattet über
den von Preußen vorgelegten Gesetzesentwurf betr. Vereinigung von
Elsaß und Lothringen mit Deutschland einen an characteristischen
Momenten äußerst reichhaltigen schriftlichen Bericht:
Der Ausschuß adoptirt mit nicht sehr erheblichen Modificationen den
preußischen Entwurf. Zweierlei geht jedoch aus dem Bericht evident hervor:
man sähe es lieber, wenn Elsaß und Lothringen einfach dem preußischen Staate
einverleibt würden, und man hegt die größten Besorgnisse vor dem staats-
rechtlichen Experiment eines Reichslandes, bei welchem durch die Reichsgesetz-
gesetzgebung und Reichsverwaltung der Weg gezeigt wird, wie man auch die
übrigen Bundesstaaten durch das Reich vollständig mediatisirt. Es heißt in
dem Ausschußbericht: Elsaß und Lothringen werden für immer mit Deutsch-
land, insbesondere mit dem deutschen Reiche vereinigt. Sie werden nicht Be-
standtheil eines einzelnen Bundesstaats sondern unmittelbares Reichsland. Die
Wiedergewinnung von Elsaß und Lothringen ist das erhebende, sichtbare Er-
gebniß der gemeinsamen kriegerischen Aktion, durch welche Deutschland seine
Einigung und Größe wiedergefunden hat. Es sind jene Länder der Siegespreis
großartiger Kämpfe, in welchen Deutsche aus allen Stämmen mit und neben
einander geblutet haben, das äußere Pfand der Einheit des deutschen Reichs,
mit vereinter Kraft errungen, mit vereinter Kraft später vielleicht noch einmal
zu vertheidigen. Deßhalb sollen die wiedergewonnenen Gebiete als untrenn-
bares Ganzes dem ganzen Reich einverleibt, nicht einem Staate überantwortet,
nicht unter mehrere getheilt werden. Andererseits war der Zweck des Kriegs
nicht Eroberung und Ländererwerb, sondern Abwehr und Sicherung. Deutsch-
land will, um Ruhe und Frieden zu bekommen, gegen den fried- und ruhe-
losen, übergreifenden Nachbar seine Grenzen sichern. Es geschieht Dieß durch
Vorrückung der deutschen Grenze über ursprünglich ächt deutsches, von Frank-
reich geraubtes Gebiet. Dieses Ziel wäre auch dann erreicht, wenn Elsaß und
Lothringen Bestandtheile des mächtigsten deutschen Bundesstaats, Preußens,
würden. Was Preußen erwirbt, ist ja zugleich Deutschland, dem Reiche er-
worben. Die Interessen des Reichs und Preußens in Elsaß und Lothringen
sind durchaus identisch. Die übrigen Gebiete des Reichs würden nicht glauben
beeinträchtigt zu sein, würden den mit Deutschland wieder vereinigten Gebieten
nicht ferner stehen, wenn Preußen, statt als Mandatar des Reichs, kraft
eigenen Rechts die Souveränetät über Elsaß und Lothringen übernähme. Die
Bewohner dieser Gebiete, ausgeschieden aus einem großen Einheitsstaat, der sie
dem zerklüfteten deutschen Reich ohne große Mühe entriß, möchten vielleicht im
Anschluß an Preußen eine Lösung sehen, entschiedener und klarer, als die un-
mittelbare Einverleibung in das Reich, in einen Bund einer Mehrheit von
Staaten. Die Verfassung des Reichs ist für ein unmittelbares Reichsland noch
nicht eingerichtet. Das deutsche Reich ist seinem Grundcharakter nach ein Bund
selbständiger, souveräner Staaten, welche einen durch die Reichsverfassung be-
grenzten Theil ihrer Staatshoheitsrechte an die Organe des Reichs abgegeben,
im Uebrigen ihren staatlichen Zusammenschluß und ihre Souveränetät bewahrt
haben. Dabei nehmen die einzelnen Bundesstaaten wiederum Theil an den
Funktionen des Reichs durch ihre Bevollmächtigten zum Bundesrathe und
ihre gewählten Abgeordneten zum Reichstage. Das von Frankreich abgelöste
Gebiet dagegen wird nicht zu einem mit Staatshoheit bekleideten selbständigen
Bundesstaat erhoben, die Souveränetät desselben ruht im Reich. Welche
Folgerungen hieraus zu ziehen, ist nicht überall klar und einfach zu entnehmen.
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