Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 113
dem Gebiete der Reichs- und Landesgesetzgebung vom Kaiser und Bundesrath
ausgeübt werde, wurde vom Ausschuß nicht beanstandet. Ein Benehmen mit
Notabeln und Sachkundigen des Reichslandes sei damit nicht ausgeschlossen.
Eine Mitwirkung des Reichstags erscheine schon deßhalb unthunlich, weil die
Thätigkeit der Gesetzgebung in den neuen Gebietstheilen eine ununterbrochene
und jeder Zeit bereite sein müsse. V. Eine besondere Verfassungsbestimmung
für Elsaß und Lothringen würde zugleich eine Abweichung von dem bisherigen
Reichsstaatsrecht bilden, wenn das Recht der Gesetzgebung auch in den der
Reichsgesetzgebung in den Bundesstaaten nicht unterliegenden Angelegenheiten
für Elsaß und Lothringen von dem Reiche dauernd ausgeübt würde. Damit
wäre nicht ausgeschlossen eine Provinzialvertretung im Gebiete der Administration,
eine Landesvertretung mit konsultativem Votum überhaupt, wohl aber jede
entscheidende Mitwirkung einer Vertretung des Reichslandes auf dem Gebiete
der Landesgesetzgebung. Um in keiner Weise zu präjudiziren, vereinigte sich
der Ausschuß zu einem Vorschlage, in welchem ausgedrückt wird, daß die
Meinung nicht die ist, es solle und müsse für alle Dauer die ganze Gesetz-
gebung für Elsaß und Lothringen vom Reiche unmittelbar ausgeübt werden.
VI. Sämmtliche übrige Hoheitsrechte außer der Gesetzgebung übt der Kaiser
aus. Der deutsche Kaiser, als „erblicher Vertreter der Gesammtheit, in welcher
die Souveränetät über das Reichsland liegt“, übt die landesherrlichen Rechte
über das Reichsland aus. Als selbstverständlich betrachtet der Ausschuß, daß
die landesherrlichen Anordnungen und Verfügungen des Kaisers zu ihrer
Giltigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers bedürfen, welcher dadurch die
Verantwortlichkeit übernimmt. Dieser Minister wird der Reichskanzler sein.
Dem Reichstag ist Verantwortung zu legen.
Daran knüpft sich der Gesetzesentwurf, den der Verfassungsausschuß des
Bundesraths in nachstehender Fassung angenommen: § 1. Die von Frank-
reich durch den Art. 1 des Präliminarfriedens vom 26. Febr. 1871 abge-
tretenen Gebiete Elsaß und Lothringen werden, unbeschadet der in diesem
Artikel vorbehaltenen endgiltigen Bestimmung ihrer Grenze, mit dem deutschen
Reiche für immer vereinigt. § 2. Die Verfassung des deutschen Reiches tritt
in Elsaß und Lothringen am 1. Januar 1874 in Wirksamkeit. Durch Ver-
ordnung des Kaisers mit Zustimmung des Bundesraths können einzelne Theile
der Verfassung schon früher eingeführt werden. Die erforderlichen Aenderungen
und Ergänzungen der Reichsverfassung werden auf verfassungsmäßigem Wege
festgestellt. § 3. Bis zum Eintritt der Wirksamkeit der Reichsverfassung wird
für Elsaß und Lothringen das Recht der Gesetzgebung in seinem ganzen Um-
fange vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesraths ausgeübt. Nach Ein-
führung der Verfassung steht bis zu anderweiter Regelung durch Reichsgesetz
das Recht der Gesetzgebung auch in den der Reichsgesetzgebung in den Bundes-
staaten nicht unterliegenden Angelegenheiten dem Reiche zu. Alle anderen
Rechte der Staatsgewalt übt der Kaiser aus.
20. April. (Bayern.) Das Comité der (Museums-) Katholikenversammlung
in München constituirt sich förmlich unter dem Namen „Comité der
katholischen Action in München“ und erläßt folgenden „Aufruf an
alle Katholiken Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz“:
„Katholische Männer aus verschiedenen Ständen sind dahier zusammen-
getreten, um die Beschlüsse des vaticanischen Concils vom 18. Juli v. J.
mit ihren staatsgefährlichen Consequenzen durch alle gesetzlich zulässigen Mittel
zu bekämpfen. Dieselbe Bestrebung geht durch die ganze katholische Welt.
Die Unterzeichneten richten daher an alle Katholiken obiger Länder, welche ihre
Bestrebungen theilen wollen, die freundliche Einladung, zum Zweck eines ein-
müthigen Vorgehens sich mit ihnen in Beziehung zu setzen. v. Wolf, Ober-
staatsanwalt. Graf v. Moy, kgl. Oberstzeremonienmeister. Graf Ludwig
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