Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 135
Ratification durch Se. Majestät den Kaiser und die Versammlung in Ver-
sailles ist eine Frist von 10 Tagen, also bis zum 20. Mai vorbehalten. Ich
kann nicht annehmen, daß diese Abmachung jeden einzelnen persönlichen Wunsch
befriedigen werde, aber das ist bei so großen Abrechnungen zwischen zwei
Völkern überhaupt nicht möglich. Die Trennung alter und die Schließung
neuer Verbindungen ist ohne Verlust und geschäftliche Weiterungen nicht mög-
lich; aber ich glaube, daß damit erreicht worden ist, was wir von Frankreich
vernünftigerweise und nach den Traditionen anderer Friedensschlüsse verlangen
konnten. Wir haben unsere Grenzen durch Landabtretung und unsere Kriegs-
entschädigung so weit gesichert, wie es nach menschlichen Verhältnissen überhaupt
möglich ist. Denn weiter ausgedehnte Sicherheiten zu nehmen, war für uns
mit erheblich größeren Kosten und Anstrengungen verknüpft, nicht nur mit
Opfern an Geld, sondern auch mit dem Verlust der Arbeitskraft, welche die
längere Abwesenheit unserer Armee unserem Lande bereitete. Indeß ich habe
das Vertrauen, daß es die Absicht der französischen Regierung ist, den Ver-
trag auch ohne eine solche Bürgschaft auszuführen, und ich habe die Hoffnung,
daß die Kräfte dazu vorhanden sein werden und daß die Behauptung, die
Entschädigung wäre von einer unmöglich zu bezahlenden Höhe, eine unbe-
gründete ist, indem sie von den französischen Finanzkreisen und Staatsmännern
nicht getheilt wird. Ich erlaube mir diese Mittheilungen mit dem Ausdruck
der Hoffnung zu schließen, daß dieser Friede ein dauernder und segensreicher
sein möge, und daß wir der Bürgschaften, deren wir uns versichert haben,
um gegen wiederholte Angriffe gesichert zu sein, für lange Zeit nicht mehr
bedürfen werden." (Lebhaftes allseitiges Bravo.)
12. Mai. (Bayern.) Der Magistrat von München verlangt von der
Kreisregierung, daß der Dr. Streber, ein ehemaliger Zögling des
deutschen Jesuitencollegiums in Rom, seiner Stelle als Religionslehrer
an der höheren Töchterschule der Stadt enthoben werde, weil er sich
herausgenommen, das Unfehlbarkeitsdogma an derselben zu lehren,
widrigenfalls die Stadt ihr Hausrecht geltend machen würde.
Die Kreisregierurg entspricht dem Begehren, unter Bezugnahme darauf,
daß durch Entschließung des Cultusministeriums der Betreffende bereits als
Verweser der Religionslehrerstelle an der Lateinschule des Wilhelmgymnasiums
von dieser Function enthoben worden sei. Doch erhält der Magistrat eine
Rüge dafür, daß er sich erlaubt habe, der Kreisregierung gewissermaßen eine
Frist für ihre Entschließung anzuberaumen.
14. „ (Bayern.) Von allen Kanzeln der Stadt Passau wird fol-
gendes von den vier Stadtpfarrvorständen unterzeichnete Schriftstück
verkündet:
„Nachdem das vaticanische Concil den thatsächlichen Widerspruch seiner Be-
schlüsse, namentlich aber des Dogma's bezüglich der Ausübung des höchsten
und unfehlbaren Lehramtes durch das Oberhaupt der katholischen Kirche, den
Papst, mit der Excommunication, d. i. mit dem Ausschlusse aus der katho-
lischen Kirche belegt hat, so sehen sich die unterzeichneten Pfarrvorstände der
Stadt Passau durch ihre amtliche Stellung zu der Erklärung veranlaßt, daß
sie hiedurch verpflichtet sind, jedem ihrer Pfarrangehörigen, welcher durch seine
Handlungsweise, insbesondere auch durch die Unterzeichnung einer Adresse, in
die von dem vaticanischen Concil verhängte, oben erwähnte Excommunication
verfallen ist, die Spendung der heiligen Sacramente der katholischen Kirche,
sowie die Gewährung der übrigen Heilmittel derselben und der mit der Eigen-
schaft eines katholischen Christen verbundenen kirchlichen Bevorzugungen u. s. w.
zu verweigern, ja sogar selbst das kirchliche Begräbniß zu versagen."