Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                                  135 
Ratification durch Se. Majestät den Kaiser und die Versammlung in Ver- 
sailles ist eine Frist von 10 Tagen, also bis zum 20. Mai vorbehalten. Ich 
kann nicht annehmen, daß diese Abmachung jeden einzelnen persönlichen Wunsch 
befriedigen werde, aber das ist bei so großen Abrechnungen zwischen zwei 
Völkern überhaupt nicht möglich. Die Trennung alter und die Schließung 
neuer Verbindungen ist ohne Verlust und geschäftliche Weiterungen nicht mög- 
lich; aber ich glaube, daß damit erreicht worden ist, was wir von Frankreich 
vernünftigerweise und nach den Traditionen anderer Friedensschlüsse verlangen 
konnten. Wir haben unsere Grenzen durch Landabtretung und unsere Kriegs- 
entschädigung so weit gesichert, wie es nach menschlichen Verhältnissen überhaupt 
möglich ist. Denn weiter ausgedehnte Sicherheiten zu nehmen, war für uns 
mit erheblich größeren Kosten und Anstrengungen verknüpft, nicht nur mit 
Opfern an Geld, sondern auch mit dem Verlust der Arbeitskraft, welche die 
längere Abwesenheit unserer Armee unserem Lande bereitete. Indeß ich habe 
das Vertrauen, daß es die Absicht der französischen Regierung ist, den Ver- 
trag auch ohne eine solche Bürgschaft auszuführen, und ich habe die Hoffnung, 
daß die Kräfte dazu vorhanden sein werden und daß die Behauptung, die 
Entschädigung wäre von einer unmöglich zu bezahlenden Höhe, eine unbe- 
gründete ist, indem sie von den französischen Finanzkreisen und Staatsmännern 
nicht getheilt wird. Ich erlaube mir diese Mittheilungen mit dem Ausdruck 
der Hoffnung zu schließen, daß dieser Friede ein dauernder und segensreicher 
sein möge, und daß wir der Bürgschaften, deren wir uns versichert haben, 
um gegen wiederholte Angriffe gesichert zu sein, für lange Zeit nicht mehr 
bedürfen werden." (Lebhaftes allseitiges Bravo.) 
12. Mai. (Bayern.) Der Magistrat von München verlangt von der 
 
Kreisregierung, daß der Dr. Streber, ein ehemaliger Zögling des 
deutschen Jesuitencollegiums in Rom, seiner Stelle als Religionslehrer 
an der höheren Töchterschule der Stadt enthoben werde, weil er sich 
herausgenommen, das Unfehlbarkeitsdogma an derselben zu lehren, 
widrigenfalls die Stadt ihr Hausrecht geltend machen würde. 
       Die Kreisregierurg entspricht dem Begehren, unter Bezugnahme darauf, 
daß durch Entschließung des Cultusministeriums der Betreffende bereits als 
Verweser der Religionslehrerstelle an der Lateinschule des Wilhelmgymnasiums 
von dieser Function enthoben worden sei. Doch erhält der Magistrat eine 
Rüge dafür, daß er sich erlaubt habe, der Kreisregierung gewissermaßen eine 
Frist für ihre Entschließung anzuberaumen. 
14.   „ (Bayern.) Von allen Kanzeln der Stadt Passau wird fol- 
gendes von den vier Stadtpfarrvorständen unterzeichnete Schriftstück 
verkündet: 
       „Nachdem das vaticanische Concil den thatsächlichen Widerspruch seiner Be- 
schlüsse, namentlich aber des Dogma's bezüglich der Ausübung des höchsten 
und unfehlbaren Lehramtes durch das Oberhaupt der katholischen Kirche, den 
Papst, mit der Excommunication, d. i. mit dem Ausschlusse aus der katho- 
lischen Kirche belegt hat, so sehen sich die unterzeichneten Pfarrvorstände der 
Stadt Passau durch ihre amtliche Stellung zu der Erklärung veranlaßt, daß 
sie hiedurch verpflichtet sind, jedem ihrer Pfarrangehörigen, welcher durch seine 
Handlungsweise, insbesondere auch durch die Unterzeichnung einer Adresse, in 
die von dem vaticanischen Concil verhängte, oben erwähnte Excommunication 
verfallen ist, die Spendung der heiligen Sacramente der katholischen Kirche, 
sowie die Gewährung der übrigen Heilmittel derselben und der mit der Eigen- 
schaft eines katholischen Christen verbundenen kirchlichen Bevorzugungen u. s. w. 
zu verweigern, ja sogar selbst das kirchliche Begräbniß zu versagen."
	        
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