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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Seelsorgegeistlichen folgende Verfügung betr. die kirchliche Behandlung
der Unfehlbarkeitsgegner mit:
„1) Ist die Thatsache constatirt, daß irgend ein Parochiane die im Hirten-
brief vom 14. April d. J. gekennzeichnete Adresse unterschrieben hat, so wird
dadurch allerdings, von den freilich sehr häufigen Fällen der Verführung durch
falsche Vorspiegelungen oder des Unverstandes abgesehen, mindestens der Ver-
dacht der Häresie begründet. Dieß fordert den Seelsorger auf, sich um den
Gefährdeten seelsorglich wie immer anzunehmen, d. h. nach Gelegenheit zu
streben, ihn zu belehren, zu ermahnen, zur völligen Umkehr zu bringen.
2) Verlangt ein solcher die Spendung eines heiligen Sacraments, z. B. der
Buße, oder die pfarrliche Assistenz zur Verehelichung, so ist derselbe vorerst
über seinen Glaubensstandpunkt sorgfältig zu prüfen. Sollte es sich heraus-
stellen, daß er trotz eingehender Belehrung und wiederholter Ermahnung, in
häretischer Gesinnung verharrt, so kann er weder zu einem Sacrament zugelassen,
noch seiner etwa beabsichtigten Eheschließung pfarrlich assistirt werden. Auch
als eigentlicher Pathe darf er dann nicht admittirt werden. 3) Ist die That-
sache der geleisteten Unterschrift notorisch, so soll von dem Betreffenden vor
Zulassung zu den Rechten der kirchlichen Mitgliedschaft wenigstens irgend eine
einigermaßen öffentliche Zurücknahme derselben verlangt werden. Kann eine
förmliche öffentliche Retractation nicht erlangt werden, so dürfte unter Um-
ständen eine Erklärung derselben vor ein paar Zeugen, oder die dem Seelsorger
ertheilte Erlaubniß, die Thatsache der Zurücknahme anderen Pfarrangehörigen
mitzutheilen, genügen. Ist es notorisch geworden, daß ein Parochiane trotz
aller Belehrung und Ermahnung seinen Widerspruch gegen die Glaubenslehren
der Kirche fortsetzt, so ist derselbe, so lange er in diesem Widerspruche ver-
harrt, als excommunicirt zu betrachten und zu behandeln und, falls er ohne
Aussöhnung mit der Kirche stirbt, ihm auch das kirchliche Begräbniß zu ver-
sagen. 4) Es versteht sich von selbst, daß es Fälle gibt, in welchen durch
notorische Agitation gegen das allgemeine vaticanische Concil und für die
fragliche Adresse nicht bloß der Verdacht der Häresie begründet, sondern offen-
bar die bewußte und hartnäckige häretische Gesinnung (haeretica pravitas)
constatirt worden ist. Hier kann es keinem Zweifel unterliegen, daß solche
Katholiken ohne weiteres als excommunicirt zu betrachten und in jeder Hin-
sicht demgemäß zu behandeln sind.“
18. Mai. (Deutsch-franz. Krieg.) Die franz. Nationalversammlung
in Versailles genehmigt den Frankfurter Friedensvertrag mit 440
gegen 9 Stimmen.
19. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt in dritter Lesung
mit 133 gegen 119 Stimmen den Gesetzentwurf betr. Inhaberpapiere
mit Prämien,
wonach solche Papiere innerhalb des deutschen Reichs nur auf Grund eines
Reichsgesetzes und nur zum Zwecke der Anleihe eines Bundesstaats oder des
Reichs ausgegeben werden dürfen.
„ „ (Preußen.) In Nordschleswig wird die deutsche Sprache nun-
mehr wenigstens als obligatorischer Unterrichtsgegenstand eingeführt,
auch da, wo die dänische Sprache die Unterrichtssprache ist. Als solche
dagegen soll die deutsche Sprache nur auf den ausdrücklichen Wunsch der be-
theiligten Schulgemeinden angewendet werden dürfen. Der Unterricht in der
Religion ist während der ganzen Schulzeit ohne Ausnahme in der Mutter- und
Kirchensprache der betreffenden Bevölkerung zu ertheilen.
20. „ (Deutsch-franz. Krieg.) Der Reichskanzler tauscht in Frank-