Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 141
furt die Ratificationen des Friedensvertrags v. 10. d. Mts. mit den
franz. Bevollmächtigten Favre und Puyer-Quertier aus.
20.—22. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Berathung des
Gesetzesentwurfs betr. die Vereinigung von Elsaß und Deutsch-Loth-
ringen mit dem deutschen Reiche:
Art. 1, der diese Vereinigung ausspricht, wird mit allen gegen 2 Stimmen
(Schraps und Sonnemann) angenommen, die Polen und Dänen enthalten
sich der Abstimmung. — Bei Art. 2 beantragt die Commission die Dauer
der Dictatur statt, wie der Bundesrath will, bis zu 1. Jan. 1874, nur bis
zu 1. Jan. 1873 festzusetzen. Duncker (Fortschr.) will dafür nur den 1. Jan.
1872 zugestehen und ferner statt „durch Verordnung des Kaisers mit Zu-
stimmung des Bundesraths“ setzen „durch Reichsgesetz“. Beide Amendements
werden jedoch gegen die Stimmen der Fortschrittspartei und des kath. Cen-
trums abgelehnt. — Zu Art. 3 stellt Duncker ein Amendement, wonach für
die Gesetzgebung vor Eintritt der Reichsverfassung auch die Zustimmung des
Reichstages erfordert wird, in dringenden Fällen jedoch vorbehaltlich der nach-
träglichen Genehmigung durch den Reichstag der Kaiser allein Verordnungen
mit Gesetzeskraft erlassen kann. Ein weiteres Amendement von Duncker vin-
dicirt dem Reiche für später die gesammte Gesetzgebung nur bis „zur Fest-
stellung einer Landesverfassung für Elsaß und Lothringen durch ein Reichs-
gesetz.“ Aehnliches will ein Antrag von Reichensperger (Olpe). Die Abgg.
v. Stauffenberg und Lasker wollen den 2. Absatz gefaßt wissen, wie
folgt: „Bis zum Eintritt der Wirksamkeit der Reichsverfassung ist der Kaiser
bei Ausübung der Gesetzgebung an die Zustimmung des Bundesraths und
bei Gesetzen, welche Elsaß und Lothringen mit Anleihen oder Uebernahme von
Garantien belasten, auch an die Zustimmung des Reichstages gebunden.“
Ein Antrag von Wigard verlangt während der Uebergangszeit zur Erlassung
von Gesetzen und allgemeinen Anordnungen das vorgängige Gutachten einer
gewählten Landesvertretung. Präs. Delbrück: Daß die verbündeten Re-
gierungen bei den zu ergreifenden gesetzlichen und administrativen Maßregeln
nicht vorgehen werden ohne vorheriges Einvernehmen mit Männern aus
Elsaß-Lothringen selbst, ist sowohl in den Motiven als in der Commission be-
stimmt ausgesprochen worden. Davon aber ganz verschieden ist die vom Abg.
Wigard vorgeschlagene begutachtende Versammlung. Ich würde dann lieber
einer beschließenden Versammlung ganz entschieden den Vorzug geben; denn
die letztere hat bei ihren Anträgen das Gefühl der Mitverantwortlichkeit, das
der ersteren gänzlich fehlt. Die von dem Abg. Duncker beantragte nachträg-
liche Zustimmung des Reichstages zu Verordnungen, die der Kaiser mit dem
Bundesrathe erläßt, würde den Verhältnissen in Elsaß und Lothringen gegen-
über nichts Anderes bedeuten als eine Erschütterung des Rechtszustandes. Es
würde dann dort immer eine Menge Leute geben, die die Verordnungen als
nur provisorisch ansähen und danach handelten. Das andere Amendement
des Abg. Duncker entscheidet von vornherein eine Frage, zu deren Entscheidung
wir im Augenblick nicht genügend informirt sind. Was das Amendement
Stauffenberg betrifft, ist es außordentlich schwer, im Voraus zu übersehen, ob
es nicht zur raschen Herstellung gewisser gemeinnütziger Einrichtungen der
Contrahirung einer vielleicht gar nicht sehr erheblichen Anleihe bedürfen wird.
Ich erinnere nur an die von allen Seiten gewünschte Wiederherstellung oder
richtiger Errichtung einer vollständigen Universität in Straßburg. Es kann
sehr wohl nöthig werden, daß man hierzu einer Anleihe bedarf, wenn sie
auch immer nur die Gestalt eines Vorschusses haben würde. Daß man auf
die Erledigung solcher Angelegenheiten jedesmal warten soll, bis der Reichs-
tag versammelt ist, Das kann ich nicht für rathsam erachten. Ich bitte Sie
daher, auch dies Amendement abzulehnen.