Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 143
zu stellen, daß bei Ausarbeitung der Vorlage eines Gesetzes, die Verwendung
der französischen Kriegsentschädigung betreffend, auf Bildung eines Fonds
Bedacht genommen werde, um daraus denjenigen Reservisten und Landwehr-
männern, welche bei ihrer Heimkehr aus dem Kriege gegen Frankreich eine
Aushilfe zum Wiederantritt ihres bürgerlichen Berufs dringend bedürfen, diese
Aufhilfe durch Darlehne oder, wo es nöthig ist, durch einmalige Gaben zu
gewähren.“ Delbrück erklärt: die Regierungen erkennen die Opferwilligkeit
und Hingebung des gesammten Heeres, besonders der Reservisten, sowie die
großen Opfer, welche dieselben durch Unterbrechung ihrer früheren Thätigkeit
erlitten haben, an. Die Regierungen sehen in dem Antrag Bunsens keinerlei
Mißtrauensvotum; allein — der Behandlung dieser Frage als Reichsange-
legenheit stellen sich unbesiegbare Schwierigkeiten schon deßhalb entgegen, weil
die verschiedenen Staaten verschiedene militärische Einrichtungen haben. Gerade
die Landwehrmänner und Reservisten vertheilen sich in den einzelnen Heeren
durchaus nicht nach dem Maßstab der Präsenzstärke; deßhalb stimmen die
Regierungen der Behandlung der Sache als Reichsangelegenheit nicht zu, da-
mit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß einzelne Regierungen ihrerseits auf ge-
eignetem Wege diesen Bedürfnissen abhelfen; in welcher Weise dieß am besten
geschieht, wird von den Verhältnissen der einzelnen Länder und Provinzen ab-
hängen. Das Reich ist nicht in der Lage allgemeine Grundsätze hierüber auf-
zustellen. Delbrück bittet daher dem Antrage die Zustimmung nicht zu er-
theilen. Im Laufe der Debatte ergreift Delbrück nochmals das Wort und
erklärt wiederholt: der Antrag muthe der Regierung eine Aufgabe zu, wozu
die Kräfte nicht ausreichen. Gegenwärtig fehlten auch auch alle Elemente um
die Höhe eines solchen Fonds zu bestimmen. Auch sonst stünden unüberwind-
liche Hindernisse entgegen, die Frage als eine Frage des Reichs zu behandeln;
dieselbe sei Sache der einzelnen Regierungen. Bezüglich der Vertheilung der
nach Abzug einer für die Reichsangelegenheiten bestimmten Summe noch übrig
bleibenden Kriegscontributionsbeträge unter die einzelnen Staaten sei im Bundes-
rath beantragt, die militärischen Leistungen der einzelnen Staaten zum Ver-
theilungsmaßstab zu machen.
Der vom Bundesrath vorgelegte Gesetzesentwurf betr. das Post-
taxwesen wird in dritter Berathung angenommen. Der Reichstag be-
harrt dabei bei der in der zweiten Berathung angenommenen Auf-
hebung des Landbriefbestellgeldes trotz der Opposition des Bundesraths.
23. Mai. In Berlin tagende Delegirte des social-demokratischen Arbeiter-
vereins sprechen in einer Resolution ihre Sympathien mit der Pariser
Commune aus, und bezeichnen deren Sache als den Kampf der Arbeit
gegen das unterdrückende Capital. Gleichzeitig wird dem Deutschen
Reichstag ein Mißtrauensvotum ertheilt und beschlossen, für einen
Normalarbeitstag von höchstens neun Stunden zu wirken.
„ „ (Bayern.) Der Bischof von Regensburg erklärt alle politischen
Eide für ungiltig, so weit sie den Kirchensatzungen widersprechen.
Der von dem Bischof wegen Nichtannahme des Unfehlbarkeitsdogma's
excommunicirte Studienlehrer und Priester Max Hort in Straubing hatte
sich u. A. auch auf seinen Diensteid berufen, der ihm nicht zu gestatten scheine,
Lehren und Grundsätze anzunehmen, die der Staat ausdrücklich verwerfe. Aus
einem an den genannten Priester gerichteten Ordinariatsschreiben wird nun
behauptet: „ . . Hiebei können wir nicht umhin, den Herrn Adressaten darauf
aufmerksam zu machen, daß der von ihm geleistete Diensteid schon aus dem
Grunde ihn nicht von der Pflicht des katholischen Glaubens und Glaubens-
bekenntnisses entbinden kann, weil alle politischen Eide im gleichen