Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                        Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                           145 
wiesenen Domänencomplex einen werthvollen Provinzialfonds erlangen, wird 
den Ständen nicht entgehen und sie zur Annahme des Vorschlags um so ge- 
neigter zu machen.“ 
25. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: dritte Lesung des Gesetzesent- 
wurfs für Wiedervereinigung von Elsaß und Deutsch-Lothringen mit 
dem deutschen Reich. Fürst Bismarck entwickelt sein Programm für 
die neuen Reichslande, verlangt aber behufs Durchführung desselben 
die Beseitigung der vom Reichstag in seiner Abwesenheit beschlossenen 
Verkürzung der Dictaturperiode so wie des Stauffenberg-Laskerschen 
Amendements und Wiederherstellung der ursprünglichen Vorlage des 
Bundesraths. Auf den Antrag des Fürsten Hohenlohe wird der Ge- 
setzesentwurf behufs einer Verständigung mit dem Reichskanzler an die 
Commission zurückgewiesen. 
       Rede Bismarcks: Ich habe das Bedürfniß, in der allgemeinen Dis- 
cussion über die vorliegende Frage einige Worte zu sagen, weil es mir nicht 
vergönnt gewesen ist, mich in der ersten und zweiten Lesung an den Dis- 
cussionen weiter zu betheiligen, ich meine namentlich auch an den Commissions- 
Verhandlungen, so sehr ich das Bedürfniß hatte, mich dort in vertraulicherer 
Weise, als es hier geschehen kann, auszusprechen. Ich war zu der Zeit in 
Frankfurt abwesend. Ich habe mich gefreut, aus dem Ergebniß zu ersehen, 
daß Sie der in der Commission vielfach an Sie herantretenden Versuchung 
widerstanden haben, das Schicksal von Elsaß-Lothringen in dem jetzigen Stadium 
und ohne Mitwirkung der Einwohner dieser Länder weiter festzulegen, als es 
in diesem Momente absolut rechtlich nothwendig ist; die rechtliche Nothwendigkeit 
beschränkt sich im Augenblick darauf, den Bewohnern dieser Länder das staats- 
rechtliche Bürgerthum in Deutschland zu sichern; alle Schritte darüber hinaus 
halte ich für den Augenblick für gewagt und der politischen Klugheit nicht 
entsprechend. Letztere räth meiner Ueberzeugung nach in unsicheren und un- 
klaren Verhältnissen die Schritte vorwärts auf das nothwendige Maß zu be- 
schränken, das Terrain zu recognosciren, ich will nicht sagen, zu experimentiren, 
aber doch erst sich durch die Betheiligten und durch die Dinge, die wir bisher 
nicht mit voller Genauigkeit kennen, belehren zu lassen, was dort zu geschehen 
hat. Was wir den Elsässern jetzt also zu geben haben, ist das deutsche Bürger- 
recht, die Möglichkeit des freien Verkehrs innerhalb Deutschlands in Handels- 
und socialer Beziehung, nachdem ihnen der freie Verkehr mit Frankreich abge- 
schnitten und verschlossen sein wird. Wir müssen uns daher nothwendig schlüssig 
machen über die Form, in der wir ihnen dieses Bürgerrecht geben wollen, ge- 
wisser Maßen über die Thür, welche wir ihnen ins Reich hinein öffnen. Es 
hat ja dabei ernsthaft nur in Frage kommen können, ob das Elsaß und 
Lothringen einem der bestehenden Bundesstaaten ganz oder unter Vertheilung 
der Länder angeschlossen werden soll, oder ob es zunächst ein unmittelbares 
Reichsland bleibt, bis es selbst so zu sagen in der deutschen Familie mündig 
geworden ist, um über sein eigenes Geschick mitzuwirken. Ernsthaft ist wohl 
nur in Frage gekommen: soll Elsaß und Lothringen zu Preußen gelegt werden, 
oder soll es unmittelbares Reichsland sein: Ich habe mich unbedingt für die 
letztere Alternative von Anfang an entschieden, ein Mal um dynastische Fragen 
nicht ohne Noth in unsere politischen zu mischen, zweitens aber auch darum, 
weil ich es für leichter halte, daß die Elsässer sich mit dem Namen der 
„Deutschen“ assimiliren, als mit dem Namen der „Preußen“. Die Elsässer 
haben sich in ihrer zweihundertjährigen Zugehörigkeit zu Frankreich ein tüchtiges 
Stück Particularismus nach guter deutscher Art conservirt, und das ist der 
Baugrund, auf dem wir meines Erachtens mit dem Fundamente zu beginnen 
haben werden; diesen Particularismus zunächst zu stärken, ist im Widerspruch 
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