Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 147
einer energischen und entschlossenen Regierung, daß sie kleine Feuer, die irgendwo
aufgehen könnten, nicht fürchtet. Wie weit man außerdem in der Selbst-
regierung des Landes durch sich selbst wird gehen können, darüber getraue ich
mich kaum schon ein Urtheil auszusprechen, jedenfalls halte ich es rathsam,
hier wie überall so weit zu gehen, wie es irgend mit der allgemeinen Sicher-
heit des Reiches und des Landes verträglich sein wird. Es ist das eine Auf-
gabe, vor die ich mich gestellt fühle, die mir ja in meiner bisherigen Lebens-
thätigkeit neu ist und eine beschwerliche, sehr schwierige, sehr verantwortliche
Aufgabe, an die heranzutreten für mich nicht ohne Bedenken ist. Wenn — nachdem
die Aufgabe, die ich mir bei Uebernahme des preuß. auswärtigen Ministeriums
gestellt habe, oder ich will sagen, die mir vorgeschwebt hat: die Herstellung
des Deutschen Reiches in irgend einer Gestalt, in einer kürzern Zeit, als ich
nach menschlicher Berechnung erwarten konnte, und in vollerem Maße, als ich
damals hoffte zu erleben, sich erfüllt hat — ich meine politischen Verpflichtungen
meinem Vaterlande gegenüber einiger Maßen als ausgelöst betrachte, und
wenn ich in diesem Stadium bei abnehmender Gesundheit und abnehmender
Arbeitskraft vor einer solchen Aufgabe nicht zurückschrecke, so leitet mich dabei
ein gewisses Gefühl der Verantwortlichkeit für das Schicksal der Bewohner
dieser Provinz, wegen des Antheils, den ich an ihrer Loslösung von Frank-
reich habe; ich fühle mich berufen, der Advocat in dem neuen Staatswesen,
dem sie beitreten, so weit es mir gegeben ist, zu sein, und ich möchte sie ungern
im Stiche lassen. Zur Durchführung dieser Aufgabe bedarf ich eines entgegen-
kommenden Vertrauens der Länder selbst, aber vor allen Dingen bedarf ich
des vollen Vertrauens der Reichsbehörden, des Reichstages und des Bundes-
raths, die hinter mir stehen, und in deren Namen ich dort zu handeln habe,
und da bin ich genöthigt, der Specialdebatte einiger Maßen vorzugreifen.
Den Ausdruck dieses Vertrauens vermisse ich in zwei Bestimmungen, die Sie
unserer Vorlage hinzugefügt haben, ja, ich finde in denselben einen decidirten
Ausdruck des Mißtrauens: das Eine ist die Verkürzung der Frist, für welche
Sie uns Vollmacht geben wollen, und für welche Sie Dictatur einführen
wollen. In anderthalb Jahren, m. H., läßt sich viel Böses thun, aber nicht
sehr viel Gutes schaffen! Ich habe behaupten hören, daß ersteres in den neuen
preußischen Provinzen einiger Maßen der Fall gewesen sei, hauptsächlich aus
der Ueberhastung der Thätigkeit, mit der man vorgegangen ist; ich kenne die
Verhältnisse nicht genau genug, um über die Berechtigung dieser Klagen zu
urtheilen, aber ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß die Auf-
gaben ganz verschiedene sind. Dort handelt es sich darum, eine auf dynastischem
Boden gewachsene Selbständigkeit einem großen Gemeinwesen, wie es Preußen
war, zu assimiliren, und es dadurch vorzubereiten. Hier handelt es sich gerade
darum, eine Selbständigkeit zu entwickeln, die bisher unter dem starken Druck
einer Centralisation gelitten hat. Um sich über viele Fragen nicht nur selbst
ein Urtheil zu bilden, sondern auch Ihnen und dem Bundesrath für die spätere
Entscheidung ein Urtheil zu unterbreiten, ist der Termin von anderthalb Jahren,
fürchte ich, zu kurz gegriffen. Ja, ich halte auch schon den Termin bis zum
Jahre 1874, den wir selbst gestellt haben, für einen ziemlich willkürlich ge-
griffenen. Es kann eben so gut dann das Bedürfniß vorhanden sein, diese
Verwaltung, vor deren Anfang wir vielleicht stehen, zu verlängeren, falls sie
sich bewährt, wie ja auch das Bedürfniß eintreten kann, das gebe ich gern zu,
Ihnen schon nach einem halben Jahre, nach einem ganzen Jahre zu sagen,
die Sache sei so weit fertig, um in die Reichsverfassung aufzugehen, und daß
wir dann weitere Schritte zu deren voller Anwendung thun können. Ich möchte
Sie bitten, doch nicht dem Verdacht Raum zu geben, als ob in der Regierung
— und ich kann hiebei nach meiner ganzen amtlichen Stellung meine Person
einiger Maßen in den Vordergrund stellen — als ob in mir irgend ein Be-
streben vorhanden wäre, diese schwerwiegende Verantwortlichkeit eine Stunde
länger zu tragen, als durchaus sachlich nothwendig ist. Ich bin meiner
10*