Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                     Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
ganzen Natur nach nicht regierungsbedürftig, das heißt passiv in hohem Grade; 
ich habe nicht das Bedürfniß, zu regieren und lasse gern anderen freie Be- 
wegung. Also, m. H., die Befürchtung ist wirklich nicht begründet, daß 
wir diese Verantwortlichkeit länger in der Hand würden behalten wollen, als 
dringend nothwendig ist zu den Aufgaben, die uns gestellt sind, und die viel- 
leicht in so kurzer Zeit kaum erfüllbar sein werden, wie es anderthalb Jahre 
sind. Mit dem Beamtenpersonal geht es wie mit der Marine: man kann 
zwei Schiffe kaufen, aber so lange man keine Matrosen und keine zuverlässigen 
Seeleute hat, nützen die Schiffe allein nicht viel. So ist auch in diesem Lande 
meines Erachtens zunächst die Aufgabe, sich einen zuverlässigen Beamtenstand 
heranzuziehen, der, wenn es nach meinen Wünschen geht, so viel als möglich 
aus Eingebornen bestehen muß, welchen wir trauen können, welchen wir nach 
unseren Begriffen für befähigt halten. Das sind alles Sachen von Bedeutung. 
Es ist auch möglich, daß wir zuerst in der Ernennung der höheren Beamten 
Mißgriffe machen, daß nicht gleich Alles gelingt und einschlägt, daß man 
Wochen und Monate verliert, ehe man auf den richtigen Weg kommt; un- 
fehlbar ist Niemand und auch eine von dem Reichstage stärker bevormundete 
Regierung würde immer dieser Gefahr verfallen. Es ist also möglich, daß 
wir Zeit verlieren. Wird ein definitiver Zustand geschaffen, dann muß auch 
die Beamtenschaft, die dort hingestellt ist, sich aller der Garantieen, auf denen 
die Zuverlässigkeit der deutschen Beamten beruht, erfreuen, dann muß das 
Versetzen, das Revociren aufhören und man muß den Leuten diejenigen Ga- 
rantieen für die Dauer ihrer Existenz geben, welche die Beamten bei uns 
haben. Ich möchte Sie daher dringend bitten, lassen Sie diese Befürchtung 
aus alter Zeit, von der ich wirklich sagen möchte: ich weiß nicht, was soll sie 
bedeuten! Lassen Sie die und glauben Sie nicht, daß die Regierung das 
Bedürfniß hat, von ihrer Dictatur einen längeren Gebrauch zu machen, als 
es nothwendig ist, und sie wird sich bald genug diese Frage vorlegen. Es ist 
aber sehr viel schwerer zu sagen, wir wollen die Dictatur verlängern und da- 
durch dem Lande ein Mißtrauensvotum von Seiten des Reichstags zu geben, 
während es leicht ist, zu sagen, wir wollen sie verkürzen. Eine zweite Ange- 
legenheit, bei der ich das Gefühl hatte, während meiner Abwesenheit ein Miß- 
trauensvotum bekommen zu haben, und die, ich muß sagen, mich schmerzlich 
berührt hat, ist die Frage wegen der Schulden, das Amendement der Herren 
Lasker und v. Stauffenberg. Ich weiß nicht, ob Sie Sich den eigenthüm- 
lichen Eindruck zu vergegenwärtigen im Stande sind, den es mir machen mußte, 
als ich von den Friedensverhandlungen zurückkam, wo definitiv die Schulden- 
freiheit des Elsasses sanctionirt war, und diese Creditloserklärung meiner Person 
mir entgegenkam. Ich überschätze meinen Antheil an der Herstellung des 
Friedens überhaupt nicht — er gebührt wesentlich unseren tapferen Kriegern, 
ich habe nur ihre Thaten zu registriren gehabt — wenn ich aber an irgend 
etwas einen persönlichen Antheil, ja das Resultat fast allein mir zuschreiben 
kann, so ist es das Ergebniß, daß Elsaß vollständig schuldenfrei ist, und es 
war das nicht leicht zu machen. Es hat mir außerdem dringend am Herzen 
gelegen, diesem Lande die Geldquellen, die ihm augenblicklich fehlen, wieder zu 
eröffnen; ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß noch heute bei Straßburg 
die Ruinen, der Schutt liegt, eben wie er nach dem Bombardement gelegen 
hat, daß aus Mangel an Mitteln, welche die Grundlagen der amtlichen An- 
ordnungen sind, aus Mangel an amtlichen Initiativen, welche dort leitend und 
fördernd eingreifen könnten, noch heute kein Stein aufgebaut ist; es stand zu 
befürchten, daß, wenn es so bleibe den ganzen Sommer hindurch, die Leute 
nicht unter Dach kommen, da ihnen Betriebscapital fehlt, und daß sie beim 
Eintritt des Winters sich in einer ähnlichen Lage befinden würden. Ich habe 
deßhalb mein Augenmerk darauf gerichtet, aus den französischen Kriegscon- 
tributionen eine erhebliche Zahlung noch früher flüssig zu machen, als es bei 
dem Frieden bedungen war; ich habe dies dadurch erreicht, daß ich mich an-
	        
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