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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Referenten unter Bedauern über den etwas gezwungen herbeigeführten Con-
flict, dessen radicale Lösung schließlich nur durch eine Auflösung des Reichs-
tages herbeizuführen sei. Hiegegen erklärt Fürst Bismarck, er habe keine
Collission gesucht, aber man dürfe ihm bei Ausführung der verfassungs-
mäßigen Rechte des Bundesrathes keine Schwierigkeiten machen. Zur Beseiti-
gung solcher Schwierigkeiten würde er energisch vorgehen. Zur Beilegung
des obwaltenden Mißverständnisses und nicht ohne Betonung der Momente,
welche es wünschenswerth erscheinen ließen, keinen Conflict heraufzubeschwören, wie
unter Empfehlung der Vermittlungsvorschläge sprechen Hölder u. Miquel,
— Duncker erklärt, daß er und seine Freunde zwar nicht für den Beschluß
gestimmt hätten, aber an dem Beschlusse, da er einmal gefaßt sei, festhalten
würden. Eine aggressive Haltung des Reichstages würde allenfalls das Auf-
treten des Reichskanzlers erklärlich erscheinen lassen, eine solche liege aber nicht
vor. Fürst Bismarck erklärt, daß dies dennoch der Fall sei, seiner Ansicht
darüber stände nicht bloß dieser Fall zur Seite. Kiefer will nur dann den
Vermittlungsvorschlägen zustimmen, wenn ausdrücklich erklärt würde, daß
auch Provinzialschulden nicht ohne Zustimmung einer elsaß-lothringischen
Volksvertretung gemacht werden sollten. Fürst Bismarck erklärt sich zu dieser
Zusage bereit. Bei der Abstimmung wird der Vorschlag der Referenten
angenommen, alles Uebrige abgelehnt. Hinsichtlich der Dauer des Proviso-
riums (§ 2), wird der Antrag des Grafen Kleist, die Regierungsvorlage (1874)
wieder herzustellen, mit 14 gegen 8 Stimmen abgelehnt und der Commissions-
vorschlag (1873) aufrecht erhalten. Der Reichskanzler stimmt letzterem Be-
schluß nicht ausdrücklich zu.
26. Mai. (Sachsen.) Die Majorität der evang. Landessynode lehnt die
Vorlage betr. Errichtung eines evang.-luth. Landesconsistoriums in
einem ihrer wichtigsten Punkte ab.
Der Gesetzentwurf der Regierung war nicht bloß bestimmt, die Selbständig-
keit und Freiheit der evangelischen Kirche dadurch zu sichern, daß eine oberste
Kirchenbehörde gegründet wird, auf welche das gesammte Kirchenregiment
übergeht, sondern er sollte auch eine billige Auseinandersetzung zwischen Staat
und Kirche herbeiführen. Er bestimmte in § 4, daß die Leitung des gesamm-
ten Schulwesens dem Staate zustehen solle, das Landesconsistorium aber die
Aufsicht über den Religionsunterricht in sämmtlichen Unterrichtsanstalten zu
führen habe. Die strenggläubige Mehrheit der Landessynode nun erklärt
Dieß für eine Trennung der Kirche von der Schule, der die Kirche niemals
zustimmen dürfe; die Kirche müsse die Oberaufsicht über die gesammte Schule,
den ganzen Unterricht, die Ueberwachung der Lehrer u. s. w. haben. Ver-
gebens führen der Cultusminister Dr. v. Falkenstein und der geh. Kirchen-
rath Gilbert aus, daß es sich nicht um eine Trennung der Kirche von der
Schule handle, sondern um eine gesunde Arbeitstheilung zu gemeinsamem
Ziel: der sittlich-religiösen Erziehung des Menschen. Die Synode lehnt die
Vorlage ab und verlangt die Ueberweisung der Ueberwachung des Religions-
unterrichts und der sittlich-religiösen Erziehung der Jugend in sämmtlichen
Unterrichtsanstalten an Aufsichtsorgane, welche Staat und Kirche gemeinsam
anstellen. Beharrt die Synode in letzter Lesung auf diesem Beschluß, so ist
ihr ganzes Ergebniß gleich Null. Der Landtag, dem das Schulgesetz, in
welchem die Beschlüsse der Synode ausgearbeitet sich finden werden, vorgelegt
werden muß, willigt voraussichtlich niemals darein; dann kann aber die Con-
sistorialverfassung nicht ins Leben treten; Selbständigkeit der Kirche wird nicht
gewährt, es fehlt an einem Consistorium, und auch das Patronatsgesetz, zu
dessen Ausführung das Landesconsistorium nothwendig ist, bleibt auf dem
Papier stehen.
30. „ Die große Mehrzahl der deutschen Bischöfe (der Bischof Hefele