Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                   153 
von Rothenburg findet sich indeß nicht darunter) erlassen gegenüber 
der wachsenden Bewegung gegen das Unfehlbarkeitsdogma innerhalb 
der kath. Kirche zwei gemeinsame Hirtenbriefe, den einen an das 
kath. Volk, den anderen an den kath. Clerus Deutschlands. 
       Hirtenbrief der deutschen Bischöfe an das kath. Volk 
Deutschlands: „In Folge der Beschlüsse des vaticanischen Concils hat na- 
mentlich in Deutschland manche Geister eine große Bewegung ergriffen. Während 
das gläubige katholische Volk überall mit freudiger Bereitwilligkeit den Ent- 
scheidungen der allgemeinen Kirchenversammlung sich unterworfen hat, finden 
wir in jenen Kreisen der Gesellschaft, welche auf ein höheres Maß von Bil- 
dung Anspruch machen, vielfach Abneigung und Befremdung Angesichts der 
verkündigten Concilsbeschlüsse, insbesondere über das unfehlbare Lehramt des 
Papstes. In dem der Kirche feindlichen Lager aber hat sich eine heftige und 
weit verbreitete Agitation erhoben, um die Kirche zu schmähen, zu verleumden, 
in Fesseln zu schlagen und selbst zu vernichten, wenn die Macht der Menschen 
vermöchte, was selbst den Pforten der Hölle nimmer gelingen wird. Woher 
diese Erscheinung? Die Wissenschaft in Deutschland hat vielfach auch auf 
dem Gebiet der Theologie in neuerer Zeit Wege betreten, welche sich mit dem 
Wesen des wahren katholischen Glaubens nicht vereinigen lassen. Diese 
wissenschaftliche Richtung, welche sich von der Auctorität der Kirche losgesagt 
hat und nur an ihre eigene Unfehlbarkeit glaubt, ist unverträglich mit dem 
katholischen Glauben. Sie ist ein Abfall von dem wahren Geiste der Kirche, 
indem sie dem Geiste einer falschen Freiheit huldigt, welcher dem Glauben 
an die göttliche in der Kirche durch den heil. Geist wirksame Lehrauctorität 
persönliche Ansichten und Meinungen vorzieht. Erscheint es nicht solchen That- 
sachen gegenüber jetzt als ein Werk der göttlichen Vorsehung, daß gerade 
in unserer Zeit, wo die sogenannte freie theologische Wissenschaft so hoch ihr Haupt 
erhoben hat, das Dogma von dem unfehlbaren Lehramte des obersten Hirten 
und Lehrers der Kirche, welches mit jener falschen Richtung in der Theologie 
im schroffsten Gegensatze steht, verkündigt worden ist? Was würde wohl auf 
die Dauer aus dieser sogenannten freien Wissenschaft auf dem Boden der 
katholischen Theologie geworden sein, wenn nicht das vaticanische Concil jenen 
Prüfstein der Geister aufgestellt hätte, an dem der vernunftstolze Dünkel 
der sich selbst für unfehlbar haltenden Wissenschaft sich gebrochen 
und an dem nicht minder jene beklagenswerthe Leichtfertigkeit unserer Zeit 
offenbar werden mußte, welche die sogenannte öffentliche Meinung wie ein 
höchstes Orakel auch in Sachen der übernatürlichen Ordnung anbetet, während 
sie das von Gott gesetzte Lehramt der Kirche verachtet. Der ganze Episcopat, 
alle Nachfolger der Apostel, zu welchen der göttliche Heiland gesagt hat: 
„Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Matth. XXVIII, 
20), und „wer Euch höret, der höret mich; und wer Euch verachtet, der ver- 
achtet mich" (Luc. X, 16), sie sind einig, nachdem Petrus gesprochen hat. Sie 
Alle stehen auf diesem Felsengrund der Kirche, von welchem sich Niemand 
trennen kann, wer immer zu der Heerde Jesu Christi gehören will. Indem 
wir daher, in dem Herrn Geliebte! in innigster Gemeinschaft mit dem gesammten 
Episcopate der katholischen Welt unsere volle Zustimmung und Unterwerfung 
unter alle und jede Beschlüsse des vaticanischen Concils hiedurch ein- 
stimmig erklären, protestiren wir zugleich mit aller Entschiedenheit gegen 
die Behauptung, als sei dadurch eine neue, in der uralten Ueberlieferung der 
Kirche nicht enthaltene Lehre verkündigt worden, oder als sei durch die ver- 
kündigte Lehre von dem unfehlbaren Lehramte und der Amtsgewalt des 
Papstes das Verhältniß der Kirche zum Staate geändert oder gar der Staats- 
gewalt gefährlich geworden. Gleichzeitig warnen wir alle Glieder der uns 
von Gott anvertrauten Heerden vor den Gefahren der bezeichneten Irrwege, 
welche von der Gemeinschaft der heiligen Kirche trennen. Wir ermahnen alle
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.