Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 153
von Rothenburg findet sich indeß nicht darunter) erlassen gegenüber
der wachsenden Bewegung gegen das Unfehlbarkeitsdogma innerhalb
der kath. Kirche zwei gemeinsame Hirtenbriefe, den einen an das
kath. Volk, den anderen an den kath. Clerus Deutschlands.
Hirtenbrief der deutschen Bischöfe an das kath. Volk
Deutschlands: „In Folge der Beschlüsse des vaticanischen Concils hat na-
mentlich in Deutschland manche Geister eine große Bewegung ergriffen. Während
das gläubige katholische Volk überall mit freudiger Bereitwilligkeit den Ent-
scheidungen der allgemeinen Kirchenversammlung sich unterworfen hat, finden
wir in jenen Kreisen der Gesellschaft, welche auf ein höheres Maß von Bil-
dung Anspruch machen, vielfach Abneigung und Befremdung Angesichts der
verkündigten Concilsbeschlüsse, insbesondere über das unfehlbare Lehramt des
Papstes. In dem der Kirche feindlichen Lager aber hat sich eine heftige und
weit verbreitete Agitation erhoben, um die Kirche zu schmähen, zu verleumden,
in Fesseln zu schlagen und selbst zu vernichten, wenn die Macht der Menschen
vermöchte, was selbst den Pforten der Hölle nimmer gelingen wird. Woher
diese Erscheinung? Die Wissenschaft in Deutschland hat vielfach auch auf
dem Gebiet der Theologie in neuerer Zeit Wege betreten, welche sich mit dem
Wesen des wahren katholischen Glaubens nicht vereinigen lassen. Diese
wissenschaftliche Richtung, welche sich von der Auctorität der Kirche losgesagt
hat und nur an ihre eigene Unfehlbarkeit glaubt, ist unverträglich mit dem
katholischen Glauben. Sie ist ein Abfall von dem wahren Geiste der Kirche,
indem sie dem Geiste einer falschen Freiheit huldigt, welcher dem Glauben
an die göttliche in der Kirche durch den heil. Geist wirksame Lehrauctorität
persönliche Ansichten und Meinungen vorzieht. Erscheint es nicht solchen That-
sachen gegenüber jetzt als ein Werk der göttlichen Vorsehung, daß gerade
in unserer Zeit, wo die sogenannte freie theologische Wissenschaft so hoch ihr Haupt
erhoben hat, das Dogma von dem unfehlbaren Lehramte des obersten Hirten
und Lehrers der Kirche, welches mit jener falschen Richtung in der Theologie
im schroffsten Gegensatze steht, verkündigt worden ist? Was würde wohl auf
die Dauer aus dieser sogenannten freien Wissenschaft auf dem Boden der
katholischen Theologie geworden sein, wenn nicht das vaticanische Concil jenen
Prüfstein der Geister aufgestellt hätte, an dem der vernunftstolze Dünkel
der sich selbst für unfehlbar haltenden Wissenschaft sich gebrochen
und an dem nicht minder jene beklagenswerthe Leichtfertigkeit unserer Zeit
offenbar werden mußte, welche die sogenannte öffentliche Meinung wie ein
höchstes Orakel auch in Sachen der übernatürlichen Ordnung anbetet, während
sie das von Gott gesetzte Lehramt der Kirche verachtet. Der ganze Episcopat,
alle Nachfolger der Apostel, zu welchen der göttliche Heiland gesagt hat:
„Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Matth. XXVIII,
20), und „wer Euch höret, der höret mich; und wer Euch verachtet, der ver-
achtet mich" (Luc. X, 16), sie sind einig, nachdem Petrus gesprochen hat. Sie
Alle stehen auf diesem Felsengrund der Kirche, von welchem sich Niemand
trennen kann, wer immer zu der Heerde Jesu Christi gehören will. Indem
wir daher, in dem Herrn Geliebte! in innigster Gemeinschaft mit dem gesammten
Episcopate der katholischen Welt unsere volle Zustimmung und Unterwerfung
unter alle und jede Beschlüsse des vaticanischen Concils hiedurch ein-
stimmig erklären, protestiren wir zugleich mit aller Entschiedenheit gegen
die Behauptung, als sei dadurch eine neue, in der uralten Ueberlieferung der
Kirche nicht enthaltene Lehre verkündigt worden, oder als sei durch die ver-
kündigte Lehre von dem unfehlbaren Lehramte und der Amtsgewalt des
Papstes das Verhältniß der Kirche zum Staate geändert oder gar der Staats-
gewalt gefährlich geworden. Gleichzeitig warnen wir alle Glieder der uns
von Gott anvertrauten Heerden vor den Gefahren der bezeichneten Irrwege,
welche von der Gemeinschaft der heiligen Kirche trennen. Wir ermahnen alle