Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 157
während man für alle Angriffe auf dieselbe volle Freiheit in Anspruch nimmt.
Man legt ferner der Staatsgewalt die Befugniß bei, darüber zu entscheiden,
was zur Lehre der katholischen Kirche gehöre und was nicht; welche die Be-
dingungen seien, um als Mitglied der Kirche rechtlich gelten zu können und
welche nicht; welche die mit dem Glaubensbekenntnisse zusammenhängenden
Erfordernisse seien, um im Besitze und Genusse kirchlicher Aemter und Ein-
künfte bleiben zu können und welche nicht. Das heißt aber nichts anders, als
dem Grundsatze huldigen: die Staatsgewalt hat über den Glauben und das
Glaubensmaß ihrer Unterthanen zu entscheiden. Es ist die Wiedererweckung
und die neue, wenn auch etwas modificirte Anwendung des tyrannischen Prin-
cips: Cujus regio, illius religio. Und Männer, welche das entscheidende
Richteramt in Glaubenssachen dem Papste absprechen — wollen, daß das ka-
tholische Volk sich hierin der Entscheidung eines Staatsbeamten unterwerfe!
Dies thun Männer, welche sonst immer den Namen der Freiheit im Munde
führen. Wir wissen es also: das ist die Gewissensfreiheit, das die Cultus-
freiheit, das die Lehrfreiheit, welche sie meinen. Jener Mann, dessen Auctorität
gegenwärtig dem Feinde der Kirche Alles gilt, bezeichnet den Satz: cujus
regio, illius religio als „ein tief unsittliches und unchristliches Princip“, als
einen „Despotismus, dessen Gleichen bis dahin noch nicht gesehen worden war".
(Döllinger, Kirche und Kirchen. S. 49—55.) Und mit einem solchen Despo-
tismus bedroht man uns in Deutschland! In Deutschland soll der Katholi-
cismus unterdrückt werden, nachdem das katholische Volk in unerschütterlicher
politischer Treue Gut und Blut für König und Vaterland hingegeben, während
die zahllosen Wunden noch nicht vernarbt, die Thränen um die Tausende
siegreich Gefallener noch nicht getrocknet, die Schlachtfelder noch nicht ver-
gessen sind!
„VII. Wie man der Staatsgewalt die Befugniß, über den Glauben zu
entscheiden, zuschreibt, so soll sie auch über die Güter der katholischen Kirche
verfügen. Die katholische Kirche, welche in der Welt seit fast zwei Jahr-
tausenden besteht, welche einst das deutsche Volk zur Einheit verband, deren
Recht, Eigenthum und Selbständigkeit in Deutschland später die Völkerverträge
und jetzt auch Verfassungen verbürgen, ist diejenige, deren sichtbares Ober-
haupt der Papst ist und welche in Einheit mit demselben der Episcopat leitet
und vertritt. Es gibt keine alte und keine neue katholische Kirche: es gibt in
aller Zeit nur die Eine, in ihrem Wesen unvergängliche und unwandelbare
katholische Kirche, die in ewiger Jugendkraft sich nach Innen und Außen fort
und fort entfaltet. Die katholische Kirche ist kein bloßes System einiger
starrer Glaubenssätze; sie ist eine göttliche Anstalt des Glaubens und Heiles,
in welcher der ganze Schatz der Offenbarung hinterlegt ist, damit die Gläubigen
mehr und mehr fortschreiten in seiner Erkenntniß; sie ist ein lebendiger Or-
ganismus, beseelt von dem heiligen Geiste, sich in einheitlichem Wesen fort-
bildend zur Vollendung, nach dem Maße des in Christo vollkommenen Alters.
(Ephes. IV, 13.) Der Papst und der mit ihm geeinigte Episcopat sind die
sichtbaren Träger dieses gottmenschlichen Organismus; ohne sie gibt es keine
katholische Kirche; und wer wissen will, wo die Kirche ist, hat nur zu fragen,
wo Petrus ist. Denn so spricht der Herr (Matth. XVI, 18): „Du bist
Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ In der That
— die katholische Kirche, mit welcher die deutschen Fürsten Concordate und
Uebereinkommen mancherlei Art geschlossen haben, ist die vom Papste kraft
seiner Vollmacht vertretene Kirche; dieser Kirche ist vertrags- und verfassungs-
mäßig das Eigenthum ihrer Stiftungen und der Genuß ihres Einkommens
nach den ursprünglichen Stiftungsurkunden und dem rechtmäßigen Besitze,
sie seien für den Cultus, den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt,
vollständig gesichert. Wer also die Sanction eines Gesetzes über das Ver-
mögen der katholischen Kirche zu Gunsten derjenigen, welche sich von der Ge-
meinschaft dieser Kirche getrennt haben, verlangt, verlangt den Umsturz aller