Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                         Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                        161 
deutschen Kaiser zu bewegen, im Falle der Thronerledigung des Herzogthums 
die einstweilige Regierung desselben mit allen durch die Verfassung mit der 
Regierungsvormundschaft verbundenen Rechten und Pflichten bis dahin zu 
übernehmen, daß ein anerkannter Thronfolger die Regierung definitiv anzu- 
treten unbehindert sei. 
3. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: Dritte Lesung des Gesetzent- 
wurfs betr. Wiedervereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem 
deutschen Reich. Derselbe wird unter Ablehnung aller Gegenanträge 
nach dem von der Commission mit dem Reichskanzler geschlossenen 
Compromiß schließlich fast einstimmig angenommen. 
       Aus der Debatte. Fürst Bismarck: Ich freue mich zunächst, daß 
mir die seltene Genugthuung zu Theil geworden ist, mich mit dem Vorredner 
Duncker in einigen Punkten in Uebereinstimmung zu befinden, es wäre mir 
sehr erwünscht, wenn dieß in mehreren geschähe, und ich will versuchen, ob ich 
etwas dazu beitragen kann. Ich muß ihm zunächst widersprechen in Rücksicht 
darauf, als ob meinem Auftreten bei den letzten Verhandlungen über diese 
Frage nichts als Willkür oder eine gewisse Verhärtung des Willens zu Grunde 
gelegen habe. Ich habe vielleicht dem Princip, welches meinem Auftreten zu 
Grunde lag, keinen hinreichend klaren Ausdruck gegeben, weil mir die Masse 
der Geschäfte nicht erlaubt, meine Aeußerungen so vorzubereiten, wie es meine 
Achtung vor dieser Versammlung unter andern Umständen erfordern würde. 
Der grundsätzliche Unterschied in unsern Ansichten liegt doch hauptsächlich 
darin: daß ich finde, daß den Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner des 
Landes nach der Art, wie die Sache hier im Reichstag behandelt worden ist, 
nicht in dem Maße Rechnung getragen wird, wie es zu wünschen wäre. Es 
ist möglich, daß der Vorredner und andere Mitglieder dieses Hauses demselben 
Gedanken, welchen ich vertrete, in der Discussion Worte gegeben haben, dar- 
über werden die stenographischen Berichte Auskunft geben; aber in den Be- 
schlüssen finde ich doch die Tendenz einer dauernden Bevormundung des Elsässer 
Landes durch die gesammte Reichsgesetzgebung. Meines Erachtens mißver- 
stehen wir uns deßhalb, weil wir nicht unterscheiden zwischen den beiden Ge- 
bieten der Gesetzgebung, um die es sich hier handelt, der Reichsgesetzgebung 
und der Landesgesetzgebung. Sie streben mehr nach der Einmischung des 
Reichstags in die Landesgesetzgebung als ich. Ueber das Maß läßt sich ja 
streiten; aber darin liegt der Unterschied. In Bezug auf die Theilnahme der 
Elsässer an der Reichsgesetzgebung gehe ich viel weiter, diese könnte meines 
Erachtens heute eintreten, und jedenfalls glaube ich, wenn sie im Reichstag 
beantragt wird, daß die Regierungen in der Lage sein werden, Ihnen diese 
Theilnahme zu einem früheren Termin als 1873 oder 1874 vorschlagen zu 
können. Daß die Elsässer an der Reichsgesetzgebung theilnehmen, darin liegt 
keine Rechtsbeeinträchtigung für die übrigen Mitglieder des Reichs, sondern 
gewissermaßen ein vorbereitender Lehrcursus im deutschen Staatsrecht, den die 
Herren hier durchmachen würden. (Heiterkeit.) Und ebenso ist es mein Wunsch, 
noch früher dahin zu gelangen, daß die verbündeten Regierungen im Bundes- 
rath Elsäßer Mitglieder mit consultativen Befugnissen zulassen; wir bedürfen 
deren absolut, wenn wir die Geschäfte und Interessen des Landes richtig führen 
wollen. Die Tendenz der Beschlüsse geht doch, meines Erachtens, dahin, dem 
Reichstage die Landesgesetzgebung in Elsaß in weitem Maß und auf unbe- 
stimmte Zeit hin vorzubehalten, und die Theilnahme des Reichstags an der 
Elsäßer Landesgesetzgebung wo möglich noch früher eintreten zu lassen. Was 
mich veranlaßt zur Vervollständigung der Dictatur und zur Verlängerung 
der Periode, in welcher sie ausgeübt werden soll, ist nur das dringende Be- 
dürfniß, die Landesinteressen des Elsasses und die Betheiligung seiner Bewoh- 
ner an der gesetzgeberischen Behandlung dieser Landesinteressen zu vertreten. 
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