Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 165
Sie lehnt den Antrag des Rectors der Leipziger Universität Dr. Zarncke, die
ursprüngliche Vorlage des Kirchenregiments wiederherzustellen, gegen 24 Stim-
men ab und nimmt dieselbe mit 46 gegen obige 24 Stimmen in der Weise
an, daß das zu errichtende Landesconsistorium nicht bloß die Ueberwachung
des Religionsunterrichts, sondern auch der sittlich-religiösen Erziehung in allen
Unterrichtsanstalten des Landes zu führen habe. Sittlich-religiöse Erziehung
ist allerdings ein sehr dehnbarer Begriff, man kann darunter wenig mehr als
Durchdringung der Schule mit sittlich-religiösem Geiste verstehen; die Redner
der Mehrheit lassen aber ziemlich deutlich erkennen, daß sie nicht viel weniger
als die Controle der Kirche über die ganze Schule verlangen. Superintendent
Meier aus Dresden stellt in dieser Richtung eine Art index doctrinarum
prohibitarum auf, welche, auf der Schule gelehrt, die Kirche nicht dulden
dürfe, so z. B. den Darwinismus. Hiebei constatirt der Rector Zarncke, daß
die fünf Professoren der Universität Leipzig, welche daselbst Naturwissenschaften
vortragen, sämmtlich Anhänger der Darwin'schen Theorie sind. Nur in einem
Punkte gibt die streng-orthodoxe Mehrheit nach. Sie verwirft zuletzt ihren
früheren Beschluß, daß die künftigen Schulaufsichtsorgane nur in Gemeinschaft
von Staat und Kirche anzustellen seien. Hierüber soll vielmehr Alles der
Ordnung zwischen Landtag und Regierung überlassen bleiben.
7. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt den Gesetzentwurf,
welcher das Bundesoberhandelsgericht in Leipzig als obersten Gerichts-
hof für Elsaß-Lothringen bestellt.
„ „ (Sachsen.) Landessynode: Debatte über Anträge betr. Ab-
änderung des sog. Religionseides, welcher den Geistlichen und Lehrern
aufgelegt wird und in dem die Verpflichtung auf die symbolischen
Bücher des 16. Jahrhunderts ausgesprochen ist.
Der Eid wurde bisher in einer milden Weise vom Kirchenregiment und
von den Geistlichen interpretirt, so daß dem subjectiven Ermessen überlassen
blieb, das Wesentliche vom Unwesentlichen in den symbolischen Büchern zu
sondern. Trotz dieser milden Praxis war indeß der Eid vielfach ein Stein
des Anstoßes. Der Rector der Universität Dr. Zarncke beantragt nun eine
neue Fassung, der Professor der Theologie in Leipzig, Luthardt, schlägt jedoch
Ablehnung derselben und Aufrechthaltung des alten Religionseides vor. Das
Kirchenregiment erklärt seinerseits seine Geneigtheit, sowohl den Eid abzuändern,
als die Schwurform durch eine Gelöbnißform zu ersetzen, und Prof. der
Theologie Dr. Bauer schlägt hierauf eine Gelöbnißformel vor, die sowohl dem
Princip der freien wissenschaftlichen Forschung, als dem lutherischen Bekenntniß
entspricht. Der Eindruck seiner Rede ist ein tiefer; die altgläubige Partei er-
klärt durch ihren Führer, den Prof. Luthardt, ihr Einverständniß mit dieser
Formel, und zuletzt wird dieselbe mit 63 gegen 9 Stimmen, worunter 4 von
den Vertretern des strengsten Orthodoxismus, angenommen. Das Gelöbniß
lautet nunmehr: „Ich gelobe vor Gott, daß ich das Evangelium von Christo,
wie dasselbe in der heiligen Schrift enthalten und in der ersten ungeänderten
Augsburger Consession und sodann in den übrigen Bekenntnißschriften der
evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, nach bestem Wissen und Gewissen
lauter und rein lehren und verkündigen will.“
8. „ (Bayern.) Um gegen die Stadt Passau zu demonstriren, in der
sich der Bürgermeister mit seinen zwei rechtskundigen Räthen an die
Spitze der antiinfallibilistischen Bewegung gestellt hat, nimmt der
Bischof Heinrich mit seinem Domkapitel keinen Antheil an der Fron-
leichnamsprocession und läßt auf der bischöfl. Residenz sechs schwarze
Flaggen aufziehen.