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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Dieß, m. H., ist anders geworden. Jetzt kann man eine solche Lehrmeinung
nach Bedarf als Dogma erklären, und dem betreffenden Katholiken bleibt
nichts weiter übrig, als die Wahl zwischen seinem Glauben und dem Auf-
geben des Gehorsams gegen die Regierung; Beides mit einander verbinden
kann er nicht mehr. Das ist die einfachste Sache von der Welt, ein Kind
kann es begreifen. Man erklärt auch Staatsangelegenheiten vom reinsten
Wasser für Dinge, die dem Gebiete der Sitte anheimfallen und deßhalb der
Kirche zukommen. Man verlangt von der Regierung, daß sie einfach den
Standpunkt der Unterordnung unter die Gesetze der Religion, die man gibt,
einnehme, auch wenn sie nicht lediglich die Regierung von Katholiken ist; man
denuncirt die Regierung als irreligiös, als der Excommunication verfallen,
wenn sie nicht auch in weltlichen Dingen den kirchlichen Standpunkt einnimmt.
Man könnte sagen, wir sollten mit dem Aufrichten von Bollwerken erst be-
ginnen, wenn man dem Gegner volle Freiheit gegeben. Darauf ist zu er-
widern: die Kirche hat bereits diese Freiheit, sie hat sie nicht vom Staate er-
halten, sondern sie hat sie sich genommen. Man fragt weiter: wozu nützt
der Gesetzentwurf? Nun, m. H., ich gestehe offen, ich lege den größten Werth
darauf, daß demjenigen Theil der Geistlichen, welchem dies Getreibe bis ins
Herz hinein zuwider ist, ein Schutz gegeben werde. Wir bei uns haben solcher
Geistlichen nicht wenige, sie waren bisher nicht stark genug, dem Terrorismus
der ultramontanen Presse, dem Druck der geistlichen Oberen zu widerstehen,
die selber wieder von einem anderen Spiritus familiaris getrieben werden. Diesen
Geistlichen ist ein Schutz durch das Gesetz gewährt, welcher es ihnen möglich
macht, ihren Herzenswünschen entsprechend Frieden mit dem Staate zu halten.
Im Uebrigen gebe ich zu: ein Universalmittel ist der von uns vorgeschlagene
Gesetzentwurf nicht, er ist nur Ein Bollwerk, welchem bei Revision des Kirchen-
staatsrechts, wie ich mir die Sache denke, andere folgen müssen. Das sind
in Kürze die Motive, welche die bayrische Regierung bestimmt haben.“
Bundesrath: beschließt, dem Reichstage die Verlängerung des bis-
herigen Pauschquantums für den Militäretat für die Jahre 1872,
1873 und 1874 vorzuschlagen.
Die Genesis des Antrags ist folgende: Ursprünglich beabsichtigten die
verbündeten Regierungen constitutionell correct zu verfahren und dem Reichs-
tag auch für die Verwaltung des Reichsheers einen den dauernden Bedürf-
nissen entsprechenden specificirten Etat zur Beschlußfassung vorzulegen. Allein
bald ergab sich das als fast unmöglich. Die Frage: ob es unter diesen
Umständen nicht gerathen sei, die abermalige Bewilligung eines Pauschquan-
tums für drei Jahre vorzuschlagen, wurde angeregt, fand aber keinen Anklang.
Man beschloß den unvollendet gebliebenen Specialetat dem nächsten Reichstage
vorzulegen, und nur die Verlängerung des mit diesem Jahr ablaufenden,
durch die Verfassung sanctionirten Provisoriums noch für das Jahr 1872 zu
beantragen. Der Kaiser kündigte dieß dem Reichstage bei dessen Eröffnung
in Ausdrücken an, die wie Bedauern klangen. Hätte man sich auf das an-
geführte Motiv für diesen Antrag beschränkt, so leidet es wohl kaum einen
Zweifel, daß sich nicht eine einzige Stimme im Reichstage dagegen erklärt
haben würde. Statt dessen wurde aber in den dem vorgelegten Militär-Etat
für 1872 hinzugefügten Erläuterungen weitläufig nachgewiesen: daß der bis-
herige Betrag des Pauschquantums von 225 Thlrn. für den Kopf unter
normalen Verhältnissen für die nothwendigen Ausgaben nicht mehr zureichend
sei, und man sich nur deßhalb noch für ein Jahr damit genügen lassen könne,
weil die üblichen Uebungen im nächsten Herbst ausfallen könnten, die in Elsaß-
Lothringen auszuhebenden Recruten erst zum 1. Oct. 1872 zur Einstellung
gelangen würden, die Occupationstruppen in Frankreich ihre Naturalverpfle-
gung noch für Rechnung Frankreichs erhielten, und das Retablissement der
Armee an Bekleidung, Ausrüstung, Waffen und Munition nach Beendigung