238 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
interesse und für die Rechnung des Reichs ausgelegt haben, um die Fa-
milien einberufener Reservisten und Landwehrleute zu unterstützen.
Der Antrag entspricht den laut geäußerten Wünschen vieler Abgeordneten
und soll wohl dazu dienen, das dreijährige Pauschquantum im Reichstag desto
eher durchzubringen.
27. Nov. (Preußen.) Eröffnung des Landtags. Thronrede des Kaisers
und Königs:
„. . . Aus dem Entwurfe zum Staatshaushaltsetat für 1872 werden
Sie erfahren, daß die Finanzlage Preußens ungeachtet der Opfer, welche
der gewaltige Krieg erheischt hat, eine im hohen Maaße befriedigende ist.
— Die Schwierigkeiten, mit welchen die Finanzverwaltung vor einigen Jahren
zu kämpfen hatte, sind bereits im Jahre 1870 überwunden worden. Einer
weiteren günstigen Entwicklung geht die Finanzlage unter der Einwirkung
der Kriegserfolge entgegen. Die durch Reichsgesetz angeordnete Bildung eines
Reichskriegsschatzes überhebt Preußen der Nothwendigkeit, noch ferner einen
Staatsschatz zu unterhalten. Es werden Ihnen Gesetzentwürfe zugehen, wo-
nach der hierdurch verfügbar werdende Bestand des Staatsschatzes, sowie einige
außerordentliche Einnahmen zur Tilgung von Staatsschulden verwendet werden
sollen. Die in solcher Weise für den Staatshaushalt erwachsende Entlastung,
ferner die mit dem lebhaften Aufschwunge des Verkehrs Hand in Hand ge-
hende Steigerung der Erträge aus wichtigen Einnahmequellen des Staates
endlich das Vorhandensein eines erheblichen Ueberschusses aus dem abgelaufenen
Finanzjahr werden es möglich machen, im Jahre 1872 den Bedürfnissen auf
allen Gebieten der Staatsverwaltung in weiterem Umfange gerecht zu werden.
Vorzugsweise hat meine Regierung der Thatsache ihre Aufmerksamkeit zu-
wenden müssen, daß die Besoldungen der Staatsbeamten in ein von Jahr
zu Jahr steigendes Mißverhältniß zu den Anforderungen getreten sind, welche
bei dem Stande aller Preisverhältnisse die Befriedigung der Bedürfnisse des
Lebens und der Stellung an sie richtet. Es wird Ihnen der Plan zu einer um-
fassenden Erhöhung der Beamtenbesoldungen vorgelegt werden. Ich ver-
traue, daß Sie bereit sein werden, durch Bewilligung der dazu nöthigen
Mittel einem Zustande Abhilfe zu schaffen, aus dessen Fortdauer ernste Ge-
fahren und Schäden für die Staatsverwaltung entstehen müssen. Sie werden
Vorlagen erhalten, welche bei einzelnen Steuern Erleichterung herbeizuführen
bestimmt sind, und es wird Ihnen ein Gesetzentwurf zugehen, durch welchen
die Einrichtungen und die Befugnisse der Oberrechnungskammer gesetzlich
geregelt werden sollen. . . Die Aufgaben der inneren Verwaltungsreform
werden erneut den Gegenstand ihrer Berathungen bilden. Es wird Ihnen
der Entwurf der Kreisordnung für die östlichen Provinzen, nachdem der-
selbe mit Rücksicht auf die früheren Erörterungen in mehreren Theilen Ab-
änderungen und Ergänzungen erhalten hat, wieder vorgelegt werden. Meine
Regierung gibt sich der Hoffnung hin, daß es dem gemeinsamen ernsten Willen
gelingen werde, über das wichtige Organisationsgesetz, welches zugleich die
Grundlage weiterer Reformen enthält, zur Verständigung zu gelangen. In-
zwischen ist die communale Selbstverwaltung der Provinzen in einer erfreu-
lichen fortschreitenden Entwicklung begriffen. Die zur Führung einer einheit-
lichen Verwaltung der provinziellen Angelegenheiten geeigneten Organe sind
auf Grund der bestehenden Gesetze bereits in der Mehrzahl der Provinzen
geschaffen. Gegenüber den Bewegungen, welche auf dem Gebiete der Kirche
stattgefunden haben, hält Meine Regierung daran fest, der Staatsgewalt ihre
volle Selbständigkeit in Bezug auf die Handhabung des Rechts und der bürger-
lichen Ordnung zu wahren, und zugleich neben der berechtigten Selbstständig-
keit der Kirche und Religionsgesellschaften die Glaubens- und Gewissensfreiheit
der Einzelnen zu schützen. Behufs verfassungsmäßiger Durchführung dieser