Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 239
Grundsätze werden Ihnen besondere Vorlagen zugehen, welche die Eheschließung,
die Regelung der Civilstandsverhältnisse und die rechtlichen Wirkungen des
Austritts aus der Kirche zum Gegenstande haben. Einen Gesetzentwurf be-
treffend die Aufbringung der Synodalkosten empfehle Ich Ihrer Aufmerksam-
keit um so mehr, als der Staat der evangelischen Kirche noch immer die Aus-
führung des Art. 15 der Verfassungs-Urkunde, verbunden mit den dazu
nöthigen Einrichtungen, schuldet und dieses Gesetz nur eine nothwendige Vor-
bedingung dazu ist. Auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts wird
die Verwendung sehr beträchtlicher Mittel in Anspruch genommen, um viele
bisher zurückgestellte Bedürfnisse nunmehr zu befriedigen. Die von der Ver-
fassungsurkunde geforderte Vorlage eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes wird
auch in dieser Session erneuert werden, nachdem die bei den früheren Be-
rathungen stattgehabten Erwägungen und die Erfahrungen der letzten Jahre
bei der Revision des Entwurfs eingehende Berücksichtigung gefunden haben.
Ein Spezialgesetz über die Beaufsichtigung der Schulen bezweckt
die beschleunigte Abhilfe eines als vorzugsweise dringend erkannten Bedürf-
nisses. Meine Herren! Die Aufgaben, welche Ihrer harren, sind umfassend
und von hoher Bedeutung für die Entwicklung unserer inneren Zustände. Ihre
Arbeiten werden segensreich sein, wenn Sie von dem Geiste des Vertrauens
und willigen Zusammenwirkens geleitet werden, welcher Mein Volk in der
jüngsten Zeit erfüllt hat!“
28. Nov. (Deutsches Reich.) Reichstag: Der Zusatz zum Strafgesetz-
buch, der sog. Kanzelparagraph wird auch in dritter Lesung mit großer
Mehrheit angenommen.
29. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: Die Vorlage betr. Ersatz der
an die Familien der Reservisten und Landwehrmänner von den
Kreisen etc. gewährten Unterstützung wird angenommen.
„ „ (Preußen.) Abg.-Haus: Die Regierung legt demselben den
Gesetzesentwurf betr. Aufhebung des bisherigen preuß. Staatsschatzes
und das Budget für 1872 vor. Finanzdarlegung des Finanz-
ministers Camphausen:
Aus der vorgelegten Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben des Jahres
1870 ergibt sich für das genannte Jahr ein Ueberschuß von 6,206,260 Thlr.
Bei den indirekten Steuern betrug die Mehreinnahme 3,366,000 Thlr. in
Folge der Abkürzung der Kreditfristen; bei den Eisenbahnen 2,699,000 Thlr.;
ebenso hat die Bank den Gewinnantheil des Staates von 711,664 Thlr. auf
1,445,401 Thlr. erhöht. Die direkten Steuern haben nur einen Mehrertrag
von 343,000 Thlr. geliefert. Der bedeutende Gesammt-Ueberschuß des Staats-
haushalts während des Kriegsjahres statt eines erwarteten Ausfalles findet
übrigens darin seine hauptsächliche Erklärung, daß im Etat von 1870 zum
ersten Male die Ueberschüsse des Staatsschatzes (3,140,000 Thlr.) figurirten
und zum ersten Male 3,422,000 Thlr. zum Zwecke der Schuldentilgung in
Folge des Konsolidationsgesetzes ausfielen. Die Ergebnisse des laufenden
Jahres werden nur zum Theil als erfreuliche bezeichnet. Die Einnahme aus
den Gerichtskosten blieb bis Ende Oktober gegen das Vorjahr zurück um
1,400,000 Thlr., die aus der Klassensteuer um 194,000 Thlr. Außerdem
kommen nur 2,050,000 Thlr. aus den Ueberschüssen des Staatsschatzes zur
Verwendung. Erfreulich ist dagegen die Mehreinnahme aus der Eisenbahn-
und Bergwerksverwaltung, die Verminderung der Matrikularbeiträge um
1,600,000 Thlr. Was die Maßregeln für die Zukunft betrifft, so legte der
Minister zunächst das Gesetz wegen Aufhebung des Staatsschatzes vor. Die
30 Millionen desselben sollen verwendet werden zur Tilgung der noch vor-