Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 243
kann. Wir müssen uns sagen, daß, obschon wir im vorigen Jahre von Frank-
reich ohne jede Provocation angegriffen wurden, doch die Erbitterung darüber,
daß wir uns siegreich vertheidigt haben, bis in die Kreise hinauf, denen die
Geschwornen, die Beamten der Staatsanwaltschaft, die Advocaten und die
Richter entstammen, eine so leidenschaftliche ist, daß wir in den Verhandlungen,
welche uns mit Frankreich noch bevorstehen, nicht blos die Sicherstellung der
Ausführung der Friedensbedingungen, sondern auch die defensive Stärke unserer
Stellung innerhalb der von uns noch besetzten Departements werden in Er-
wägung ziehen müssen. Euer Hochgeboren erinnern sich, daß die letzten Ver-
handlungen mit Herrn Pouyer-Quertier in dem Vertrauen geführt wurden,
daß auch die Beseitigung des letzten Restes unserer Occupation in einer kürzeren
als der im Frieden vorgesehenen Frist durch gegenseitiges Uebereinkommen
werde herbeigeführt werden können. Das Licht, welches die Vorgänge in
Melun und Paris auf die Stimmung und die Absichten auch der gebildeteren
Franzosen gegen uns werfen, hat dies Vertrauen verscheuchen müssen, umso-
mehr, als die Freunde des Rechtes und der Ordnung in der Presse Frank-
reichs sich nicht stark genug gefühlt haben, das Verhalten der Geschworenen,
der rechtskundigen Personen und des beifallspendenden Publikums öffentlich zu
verurtheilen. Die wenigen Stimmen, welche sich zu einer schüchternen Miß-
billigung ermuthigt haben, begründen dieselbe nur mit der Nützlichkeitsrücksicht,
daß die Deutschen durch ihre Occupation jetzt noch im Stande seien, Frankreich
Schaden zu thun, keineswegs aber mit der Erklärung, daß die Art der Recht-
sprechung, wie sie stattgefunden, mit den ewigen Grundsätzen der Gerechtigkeit,
der staatlichen Ordnung und mit dem Stande der heutigen Civilisation un-
verträglich sei. Es scheint also, daß auch diese schwachen Zeugnisse für das
Recht verstummen würden, sobald unsere Occupation beseitigt wäre. Euer
Hochgeboren wollen gefälligst diese Betrachtungen Herrn v. Rémusat vortragen,
ohne, wie ich wiederhole, denselben irgendwie eine Wendung zu geben, welche
eine diesseitige Verstimmung gegen die Regierung der Republik vermuthen
lassen könnte. Euer Hochgeboren wollen vielmehr vorzugsweise Gewicht auf
das Bedauern und die Enttäuschung legen, welche wir darüber empfinden, daß
unmittelbar nachdem wir in den letzten Verhandlungen die unzweideutigsten
Beweise von Entgegenkommen gegeben hatten, Erscheinungen zu Tage treten
konnten, angesichts deren ich unsere Hoffnungen auf Wiederbelebung des gegen-
seitigen Vertrauens leider als verfrüht bezeichnen muß."
7. Dec. (Preußen.) Abg.-Haus: Die Regierung legt demselben einen
Gesetzesentwurf über die Oberrechnungskammer vor.
Derselbe erfüllt in zwei Punkten die Forderungen der liberalen Partei.
Einmal sollen königliche Cabinetsordres die Virements, die Buchungen unter
falschen Titeln nicht mehr decken können. Es wird danach fernerhin unmöglich
sein, ohne daß das Abgeordnetenhaus etwas davon erfährt, beispielsweise aus
einem vakanten Gerichtspräsidentengehalt einen außeretatsmäßigen Major zu
unterhalten. Ferner sollen für die Berechnung der Etatsüberschreitungen und
für die Rechnungslegung nicht die in der Gesetzsammlung mit dem Etatsgesetz
publizirten Titel, sondern alle Unterabtheilungen des Etats maßgebend sein,
sofern das Abgeordnetenhaus über die letzteren selbständig Beschluß gefaßt hat.
In diesen zwei Punkten unterscheidet sich der gegenwärtige Entwurf Camp-
hausen's von Patow's Entwurf aus dem Jahr 1862. Mit diesem hat der-
selbe das Bestreben gemein, die Oberrechnungskammer unabhängig wie ein
Richtercollegium zu stellen, auch in der Hauptsache die collegialische Berathung
bei derselben einzuführen. Relativ enthält somit der vorliegende Gesetzentwurf
Verbesserungen und macht wenigstens einen Anfang, eine wirkliche Rechnungs-
kontrole zu begründen; vollständig aber wird das Ziel nicht erreicht. Die
Prüfung dieser Vollständigkeit aber ist um so wichtiger, als das jetzt mit dem
preußischen Landtage zu vereinbarende Gesetz demnächst auch an den Reichstag
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