Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

244 
                        Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
gelangen soll. Auch nach dem neuen Gesetz wird der Landtag eine vollständige 
Einsicht in die Rechnungsgebarung zu gewinnen nicht im Stande sein. Die 
Oberrechnungskammer soll auch künftig nur Verstöße gegen das Staatshaus- 
haltsgesetz, nicht auch gegen andere Gesetze mittheilen. Die Oberrechnungs- 
kammer erstattet jährlich dem Könige einen gutachtlichen Bericht darüber, „ob 
und inwieweit nach den aus den Rechnungen sich ergebenden Resultaten der 
Verwaltung zur Beförderung der Staatszwecke im Wege der Gesetzgebung oder 
der Verordnung zu treffende Bestimmungen nothwendig oder rathsam erscheinen.“ 
Dieser Bericht soll auch künftig dem Landtage vorenthalten werden. Endlich 
ist dem Landtage jeder direkte Verkehr mit der Oberrechnungskammer abge- 
schnitten, der Landtag kann sich immer nur an das Ministerium wenden. Mit 
dem Material, das ihm durch dieses von der Oberrechnungskammer zugestellt 
wird, muß er sich zufrieden geben. Dem Landtage ist nicht das Recht einge- 
räumt, weiteres Material, Revisionsakten u. dergl., zu fordern, er bekommt 
insbesondere keine wirklichen Rechnungen zu sehen. Was ihm vorgelegt wird, 
ist eine nach den Titeln und Positionen des Haushaltsetats geordnete Zu- 
sammenstellung des Finanzministers, deren Uebereinstimmung in der Summe 
mit den aus den Cassenrechnungen gezogenen Summen von der Oberrechnungs- 
kammer attestirt wird. Dazu macht die Oberrechnungskammer dann ihre 
„Bemerkungen". Diesen durch Einfordern der Belege weiter nachzugehen ist 
der Landtag nicht im Stande. 
7. Dec. (Württemberg.) II. Kammer: Die particularistisch-democra- 
 
tische Opposition stellt „zur Wahrung vertragsmäßiger Rechte des 
württemb. Staats gegenüber der Reichsgesetzgebung“ folgenden Antrag 
(sog. Antrag Oesterlen): 
       „In Erwägung, 1) daß die Ausdehnung der Verfassung des norddeutschen 
Bundes auf Württemberg durch Vertrag vom 25. Nov. 1870 nur unter den 
in Art. 2 dieses Vertrags angeführten Maßgaben zwischen den contrahirenden 
Staaten vereinbart und Seitens der württembergischen Stände genehmigt 
worden ist; 2) daß die durch jene Maßgaben vertragsmäßig festgesetzte Be- 
schränkung der Reichsgesetzgebung nach klarem Recht und nach der Natur der 
Sache nicht durch einen Akt der Reichsgesetzgebung, sondern nur vertragsmäßig 
unter Zustimmung des württembergischen Staates beseitigt werden kann, was 
durch das Protokoll d. d. Berlin 25. Nov. 1870 und Versailles 15. Nov. 1870 
als selbstverständlich anerkannt worden ist; 3) daß die Zustimmung des württem- 
bergischen Staats hiezu nach Verf.-Urk. § 85 nur mit Einwilligung der 
württemb. Stände ertheilt werden kann; aus diesen Gründen und in Betracht 
der Bedeutung der durch den Vertrag vom 25. Nov. 1870 Art. 2 vorbe- 
haltenen Rechte für die materiellen Interessen des Landes, stellen die Unter- 
zeichneten den Antrag: „Hohe Kammer wolle beschließen: I. das verfassungs- 
mäßige Recht der Stände auf Zustimmung zu Abänderung des Vertrags vom 
25. Nov. 1870 zu verwahren und demzufolge II. der k. Staatsregierung zu 
erklären: 1) daß die Kammer eine ohne ständische Zustimmung beschlossene 
Abänderung jenes Vertrags für den württemb. Staat verpflichtend nicht zu er- 
kennen vermöchte, 2) daß durch einseitige Zustimmung zur Abänderung oder 
Aufhebung des Vertrags vom 25. November 1870 die dafür verantwortlichen 
Regierungsorgane einer Verletzung der Landesverfassung sich schuldig machen 
würden.“ 
„    „ (Mecklenburg.) Die beiden Großherzoge erlassen an den Land- 
tag Rescripte bez. der Verfassungsangelegenheit, nach welchen die so 
dringende Reform immerhin auch für das nächste Jahr nicht über 
Vorarbeiten der Regierung hinauskommen wird.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.