Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

258 Oesterreich-Angarn. 
14. Jan. (Ungarn.) In dem Preozesse gegen den Ex-Fürsten Kara- 
georgiewitsch wegen Mitschuld an der Ermordung des serbischen Fürsten 
Michael wird derselbe in zweiter Instanz zu 8 jährigen schwerem 
Kerker, seine beiden Mitangeklagten Trifkowitsch und Stankowitsch 
werden zu je vierjährigem Kerker verurtheilt. 
17. „ Oesterr. Delegation: Debatte über das Budget des Aus- 
wärtigen für 1871. Sämmtliche Redner sprechen sich im Sinne 
einer consequenten Friedenspolitik und für ein einträchtiges Zusammen- 
gehen mit Deutschland aus. 
Gegen einzelne Ausstellungen bemerkt Graf Beust: er glaube erreicht zu 
haben, was man wünschte: die Erhaltung des Friedens, die Erhaltung freund- 
schaftlicher Beziehungen zu Deutschland — ohne Preisgebung der Würde; 
„denn wir haben unsere Freundschaft nicht angetragen, die Freundschaft ist 
uns angetragen worden.“ Gegen etwaige üble Folgen eines Zusammengehens 
mit Deutschland schütze das innig vertrauliche Verhältniß zu Italien. Bezüg- 
lich der vollständigen Beseitigung des Concordats betont er, daß dieselbe eine 
nothwendige Folge der inneren Reformen gewesen sei. 
23.—24. „ Ungarische Delegation: Debatte über das Budget des 
Auswärtigen für 1871. Sämmtliche Redner sprechen sich dafür aus, 
daß sie das Preisgeben des Prager Friedens und die befolgte Neu- 
tralitätspolitik billigen, eine enge freundschaftliche Verbindung mit 
Deutschland wünschen und die Schritte, die zur Anbahnung derselben 
geschehen sind, mit lebhafter Freude begrüßen. 
Indeß werden die Mittel, die Graf Beust angewendet hat, um schließlich 
zu diesem Ziele zu gelangen, mehrfach einer scharfen Kritik unterzogen. Na- 
mentlich wirft Pulszky dem Reichskanzler vor, daß er, statt sich nach König- 
grätz jeder auffälligen Einmischung in die äußere Politik zu enthalten, durch- 
aus das was auf dem Schlachtfelde verloren gegangen war, auf dem Felde 
der Diplomatie zurückgewinnen wollte; die vier Jahre lang getriebene Politik 
sei eine Komödie der Irrungen gewesen, die leicht in eine Tragödie hätte um- 
schlagen können. Mit allerlei Daten ausgerüstet, denen nicht leicht wider- 
sprochen werden konnte, geißelt auch Graf Szirmay mit vieler Ironie die 
Politik des Reichskanzlers. Er findet, daß der entschiedene politische Plan 
vollständig gefehlt habe, und fragt: warum denn nicht schon vor drei Jahren 
eine Allianz mit dem Norddeutschen Bunde geschlossen worden sei, wo dann 
der gegenwärtige Krieg unmöglich geworden wäre. 
26. „ (Ungarn: Croatien.) Der bisherige Banus Baron Rauch wird 
seiner Würde enthoben und an seine Stelle der bisherige croatische 
Minister in Pesth, Bedekowics ernannt. 
29.—31. „ Oesterr. Delegation: Die Debatte über das außer- 
ordentliche Erforderniß von 60 Mill. behufs Erhöhung der Wehrkraft 
der Monarchie führt zu einer neuen Debatte über die Lage der aus- 
wärtigen Angelegenheiten. Enthüllung Giskras über Preußens Politik 
i. J. 1866. 
Den Anlaß hiezu bietet der galizische Delegirte Julian Klaczko, ein 
glühender Feind der Deutschen und zeitweiliger Hofrath im auswärtigen Amte 
zu Wien, für welche Stellung er seine langjährige Thäütigkeit im Postkabinet 
Napoleons III. vertauscht hatte. Derselbe findet es unerhört, daß in dem 
1866 von Preußen niedergeworfenen Oesterreich Sympathien für die preußischen
	        
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