298 Oesterreich-Ungarn.
29. Sept. (Oesterreich.) Die Organe der kath. Partei heben die Resultate
der in letzter Zeit mit dem äußersten Eifer ins Werk gesetzten katho-
lisch-politischen (ultramontanen) Agitation hervor:
„Großartig kann der Aufschwung genannt werden, welchen das katholische
Leben in Oesterreich genommen hat. Am 31. December 1870 bestanden in
den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern 341 politische Vereine;
dieselben theilten sich gerade zur Hälfte in „liberale" (170) und „klerikale“
(171). In den letzten neun Monaten, d. i. bis 30. September 1871, sind
nun 148 neue politische Vereine entstanden, darunter 9, sage neun liberale,
und 128, sage hundertachtundzwanzig katholisch-politische Vereine! Die Katho-
liken haben also ihre Gegner in neun Monaten um das Doppelte überholt.
Es existiren jetzt im Ganzen 190 „liberale" und 299 „klerikale“ Vereine.
Die katholisch-politischen Vereine haben den Umschwung unserer innern Politik,
die Rückkehr zum conservativen System durchgesetzt. Mit Hilfe des katholisch-
patriotischen Vereins erhielt sich Tirol seinen katholisch-conservativen Landtag,
dessen Mitglieder größtentheils dem Vereine angehören. Oberösterreich ver-
dankt seinen katholischen Landtag einzig dem katholisch-politischen Volksverein
und hätte ohne den Verein einen liberalen, vielleicht republikanisch gesinnten
Landtag. Salzburg und Steiermark brachten mittels des Volksvereins eine
so ansehnliche Minorität in den Landtag, daß die Umwandlung derselben zur
Majorität nur von einigen Stimmen im Großgrundbesitz abhängt. Der Land-
tag von Vorarlberg gehört der Majorität nach dem katholisch-patriotischen
Vereine an. In Niederösterreich haben zur Zeit der Wahlen die Männer der
Vereine als Candidaten und Wähler eine Energie entwickelt, welche beweist,
daß schließlich auch in diesem Kronlande ihnen die Zukunft gehört.“
2. Oct. (Oesterreich: Böhmen.) Graf Clam-Martinic trifft in Wien
ein, um sich mit dem Ministerium Hohenwart-Schäffle über die vom
böhmischen Landtage zu erlassende Adresse an den Kaiser und die
czechischen Forderungen überhaupt zu verständigen.
3. „ (Oesterreich: Vorarlberg.) Landtag: die klerikale Mehrheit be-
schließt eine Adresse an den Kaiser, in der die föderalistischen, noch
viel mehr aber die klerikalen Begehren auf's nachdrücklichste hervorge-
hoben werden:
In der Einleitung wird die Nothwendigkeit des Ausgleichs betont und sich
hiefür auf die vorjährige Adresse des Landtags berufen. Rückkehr Oesterreichs
zu den „alten Grundlagen" ist unbedingt geboten, von denen es nun folgender-
maßen heißt: „Unter diesen durch die pragmatische Sanction garantirten und
durch das October-Diplom neu bestätigten Grundlagen ist nach Gottes Willen
und der Ueberzeugung des katholischen Volkes das Recht der katholischen
Kirche als Hauptstütze aller anderen Rechte an Rang und Bedeutung die erste
und wichtigste. Damit aber die Kirche, unbeirrt von Uebergriffen des Staates,
nach ihren ewigen göttlichen Principien für des Volkes und des Thrones Heil
segensreich wirken könne, ist vor allem nothwendig: die dringend gebotene Ab-
schaffung der das Gewissen der Katholiken verletzenden, von allen Kirchenfürsten
und dem Oberhaupte der Kirche aufs tiefste betrauerte Mai-Gesetze in Be-
zug auf Confession, Ehe und Schule, sowie kräftige Abwehr gegen die Frech-
heit einer alles sittliche, religiöse und dynastische Gefühl ertödtenden ruchlosen
Presse und Garantieen gegen durch die letzten Zeitwirren irre gewordenen
Verwaltungsorgane, die durch Mißachtung heiliger Rechte und Gefühle
und durch Vereitlung der bescheidensten Gegenvorstellungen nicht bloß das An-
sehen des Thrones, sondern auch das Ansehen der Stützen des Thrones, der
Landtage und nicht minder des Ministeriums beim Volke untergraben. Rettung