Oesterreich-Ungarn. 303
eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten, so erscheinen hierin in keinem
Punkte die Grenzen der Berechtigung der anderen Länder verletzt, denen viel-
mehr das Recht freier Selbstbestimmung in Ordnung ihrer eigenen Angelegen-
heiten gewahrt ist. So entschieden wir uns stets gegen den rechtlichen Bestand
eines neu geschaffenen staatlichen Gebildes verwahren mußten, welches
— dem Königreiche Ungarn gegenllbergestellt — die übrigen Königreiche und
Länder in einer Weise verschmelzen sollte, welche die politische Individualität
Böhmens vernichtet hätte; so entschieden wir uns dagegen verwahren mußten,
daß das Königreich Böhmen der ihm durch Geschichte, Recht und faktisches
Gewicht angewiesenen Stellung eines unmittelbaren, eigenberechtigten Gliedes
der österreichischen Monarchie jemals verlustig werden könnte, weil seine ein-
gegangenen Verpflichtungen nur dem Gesammtreiche, nicht einem Theile des-
selben gegenüber gelten, so lag es doch unserem Sinne stets ferne, uns den
anderen Königreichen und Ländern entfremden zu wollen, mit welchen Böhmen
seit Jahrhunderten in freigewähltem und treubewahrtem Bunde vereint ist.
Wir bringen diesen Ländern daher auch jetzt durch Uebertragung der Behand-
lung vieler wichtiger Angelegenheiten an eine Versammlung von Dele-
girten der nichtungarischen Länder unsere brüderliche Mitwirkung zur
Lösung staatlicher Aufgaben bereitwillig entgegen, und es bliebe die Bestim-
mung des Beitragsverhältnisses zu den finanziellen Leistungen der freien
Vereinbarung landtäglicher Deputationen vorbehalten, so daß jedem
Lawoe das Recht gewahrt wäre, seine gleichgewichtige Stimme zur Geltung zu
ringen.
„Um jedem Lande die Möglichkeit zu sichern, die Austragung von Diffe-
renzen, die sich aus den Beziehungen der Länder unter einander etwa ergeben
würden, einem unparteiischen Schiedsgerichte zu übertragen, wird das König-
reich Böhmen zur Errichtung eines Senates seine Zustimmung geben.
Eine solche Institution, im Leben der Länder und Völker wurzelnd und doch
über den Kreis der die Gemüther erregenden Tagesfragen emporgehoben, dürfte
die beruhigende Gewähr gerechten Urtheils in sich tragen.
„In Allem, was die Feststellung der Beziehungen des Königreiches Böh-
men zur Gesammt-Monarchie anbelangt, hat uns die Ueberzeugung geleitet,
daß in einem weiteren, Völker und Länder umschließenden staatlichen Verbande
das Gedeihen der individuellen Theile ebensosehr gefördert wird durch Sicher-
stellung aller Bedingungen der Einheit und Macht des Ganzen, als die Macht
eines solchen Reiches in der Kraft seiner Glieder liegt, seine Einheit begründet
ist in der Uebereinstimmung seiner Aufgaben mit den höchsten Zielen der
Nationen, die es verbindet, und daß die Gewähr und Bürgschaft des Bestandes
eines solchen Reiches in der Gewähr und Bürgschaft liegt, welche es diesen
Nationen bietet, in seinen Institutionen und unter dem schützenden Schilde
seiner Macht die freie Entfaltung und Entwicklung ihrer physischen und mo-
ralischen Existenz gesichert zu sehen. Es war demnach unser Wunsch, die
staatsrechtlichen Beziehungen Böhmens zur Monarchie also geordnet zu sehen,
daß die reichste Entfaltung geistiger und materieller Kräfte unseres Vaterlandes
in den Anforderungen des Gesammtreiches keine hemmende Schranke, wohl
aber in der Sicherheit seines Bestandes die Gewißheit eigenen Schutzes und
eigener Förderung finde. In diesem Sinne haben wir in den Fundamental-
Artikeln die Legislation in allen unser Land und seine Bewohner allein be-
treffenden Angelegenheiten der Vertretung des Landes — die Verwaltung
dieser Angelegenheiten der Landesregierung vorbehalten. Die künftige
Vertretung des Königreichs Böhmen aus einer vom Krönungs-Landtage
zu beschließenden gerechten und billigen Wahlordnung hervorgehend —
wird durch eine den besonderen Verhältnissen des Landes angemessene, dem
Geiste und Charakter des Volkes verwandte Gesetzgebung den Frieden der
Gemüther herzustellen, den materiellen Aufschwung mächtig zu fördern ver-
mögen. Es steht zu hoffen, daß es einer dieser Vertretung im Bereiche