Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

Rom. 421 
men eines Briefes sich nicht besprechen lassen, so wollen wir nur noch die Eine 
Lüge der Zugeständnisse, der sogenannten „Garantien“, berühren, wo 
man nicht weiß, was eigentlich den ersten Platz einnehme, ob die Absurdität, 
oder die Verschlagenheit, oder der Hohn, woran die Lenker der subalpinischen 
Regierung schon lange eifrig, jedoch nutzlos arbeiten. Da fie sich nämlich 
durch die gemeinsame Forderung der Katholiken und die politische Nothwendig- 
keit gezwungen sehen, wenigstens einen Schein unserer königlichen Gewalt noch 
aufrechtzuerhalten, damit wir in der Ausübung unserer höchsten kirchlichen 
Regierung von Niemandem abhängig erscheinen, glaubten sie das durch Zuge- 
ständnisse erreichen zu können. Da aber ein Zugeständniß schon seiner Natur 
nach eine Gewalt des Zugestehenden über denjenigen, welchem das Zugeständniß 
gemacht wird, voraussetzt und diesen, wenigstens was die zugestandene Sache 
anbelangt, der Botmäßigkeit und dem freien Ermessen des Zugestehenden an- 
heimstellt, so ist ihr Bestreben, unsere oberste Gewalt durch solche Mittel, die 
sie gerade gänzlich untergraben, in ihrer höchsten Höhe zu begründen, noth- 
wendig verlorene Mühe. Der innerste Kern dieser Zugeständnisse ist aber der, 
daß ein jedes erst eine eigene Dienstbarkeit mit sich bringt, die dann durch die 
später angebrachten Amendements nur noch härter wird. Der feindselige und 
unredliche Charakter derselben, der, wenn auch schlau verhüllt, dennoch daraus 
hervorspringt, erhält durch die ununterbrochene Kette von Thatsachen überdies 
eine solche Illustration, daß kein Vernünftiger dadurch getäuscht werden kann, 
und daß dadurch jenen Zugeständnissen ganz offen das Zeichen, als wollte man 
Einen zum Besten haben, aufgedrückt wird. Doch wenn die Kirche das Bild 
ihres göttlichen Stifters an sich tragen muß, müssen wir, die wir, wenngleich 
ohne unser Verdienst, die Stelle Christi hier auf Erden vertreten, ihm nicht 
Dank sagen, daß er auch uns mit dem Spottzeichen des Königthums um- 
geben ließ? Wahrhaftig, auf diese Weise hat er die Welt besiegt; auf diese 
Weise wird er auch durch seine Braut, die Kirche, wiederum über die Welt 
triumphiren." 
26. April. Der neue Botschafter Frankreichs, Marquis d'Harcourt überreicht 
dem Papst seine Creditive. 
Der Bericht des Gesandten über seinen Empfang wird später (Ende Oct.) 
von Jules Favre, dem damaligen Minister des Ausw., in einer Broschüre 
veröffentlicht. Danach hätte der Papst auf die Anrede des Botschafters wört- 
lich geantwortet: „ . Ich bin empfänglich für den Wunsch, welchen Sie 
mir überbringen. Alle Welt hat Interesse, daß der Staat Rom nicht das 
bleibt, was er ist. Sie haben heute Verlegenheiten, welche Ihnen nicht Ihre 
ganze Actionsfreiheit lassen. Ich verlange nicht mehr, als ich verlangen kann. 
Ich wünsche nur, daß Ihre Regierung dem italienischen Cabinet Rathschläge 
der Klugheit gebe, daß sie ihm sage, darauf zu sehen, langsam vorzugehen, 
keine überstürzten Maßregeln anzunehmen, nicht Bahnen zu betreten, die leicht 
gefährlich werden könnten. Sie wollen mit aller Gewalt in Nom eine defini- 
tive Niederlassung errichten, und tausend Gründe wollen, daß Nom nicht ihre 
Hauptstadt werden kann: die Zukunft wird das sein, was Gott gefallen wird. 
Die Souveränetät kann man in Zeiten, wie diese, nicht wieder aufsuchen; ich 
weiß dieses besser denn irgend Jemand. Alles, was ich wünsche, ist ein 
kleines Stück Land, wo ich Herr sein würde. Wenn man mir anbieten 
würde, mir meine Staaten zurückzugeben, so würde ich es nicht annehmen; aber 
so lange ich nicht dieses kleine Stück Land haben werde, kann ich meine geistlichen 
Functionen nicht in ihrer Fülle ausüben.“ Jules Favre bemerkt seinerseits 
zu dieser Antwort: „Es ist unmöglich, beim Lesen der Antwort des heil. 
Vaters nicht von der Mäßigung — ich gehe weiter —, von der Resignation, 
deren Abdruck sie trägt, betroffen zu sein. Niemals drückte sich der Papst der 
Regierung Victor Emanuel's gegenüber auf diese Weise aus: er nennt sie 
eitalienisches Cabinet"“, er gibt ihr Rathschläge der Klugheit. Er sagt ihr
	        
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