428 Schweiz.
9. Mai. (Solothurn.) Die allg. Großrathswahlen ergeben neuerdings
einen Sieg der liberalen Parteien über die Ultramontanen.
„ „ Die ständeräthliche Commission für Vorberathung der Revision
der Bundesverfassung tritt in Bern zusammen und stimmt in den
wesentlichsten Punkten den Beschlüssen der nationalräthlichen Commission
mit nicht allzu großen Modificationen bei.
4. Juli. Die am 3. d. M zusammengetretene Bundesversammlung beschließt
eine außerordentliche Session auf d. 6. Nov. behufs Berathung der
Revision der Bundesverfassung.
„ Bundesversammlung: Bericht des Bundesraths über seine Geschäfts-
führung im J. 1870. Derselbe äußert sich über die Frage einer
Besetzung der neutralisirten Theile Savoyens und der Rechte der
Schweiz gegenüber Frankreich folgendermaßen:
„Der Bundesrath hielt dafür, daß es in seiner Pflicht liege, sich auf alle
Eventualitäten hin dazu bereit zu machen, zu welchem Zweck die militärischen
Dispositionen getroffen waren. Ebenso waren für eine Convention mit der
französischen Regierung über das gegenseitige Verhältniß in einem Besetzungs-
fall die nöthigen Vorarbeiten gemacht. Es erscheint dermalen überflüssig die
Eventualitäten näher zu erörtern, unter welchen der Bundesrath zur Geltend-
machung des schweizerischen Rechts auf Occupation der neutralisirten Gebiets-
theile geschritten wäre. Die Verhältnisse haben sich in der Folge so gestaltet,
daß die Occupation nicht geboten erschien, und da Aussicht vorhanden für
eine Verständigung mit der französischen Regierung, so will der Bundesrath
sich dermalen auch der Erörterung der bestehenden Rechtsverhältnisse enthalten.
Die Neutralität Ober-Savoyens hat sich übrigens bei dieser Gelegenheit von
einer neuen Seite gezeigt, nämlich als ein werthvolles Gut für Savoyen selbst.
Ja es trat diese Seite so stark in den Vordergrund, daß man in der Schweiz
vielfach die Frage erörtern hörte: ob nicht der Vortheil der Neutralisation
ausschließlich auf Seiten Savoyens liege und letztere eine bloße nutzlose Last
für die Schweiz in sich enthalte, von der man sich so bald als möglich frei
machen müsse. Wir können indeß nicht umhin, diese Meinung als irrig zu
bezeichnen; es lassen sich Fälle denken, wo der Hauptvortheil dieser Neutrali-
sation umgekehrt auf Seiten der Schweiz liegt, und es ist bekannt, daß man
in dem bei dieser Frage wesentlich interessirten Kanton Genf die Sache eben-
falls so ansieht. Für eine solche Eventualität sind aber die letzten Vorgänge
sehr werthvoll. Hätte die Schweiz früher, ja selbst noch im Anfange des
letzten Kriegs, Savoyen besetzen wollen, so hätte sie mit einer der Schweiz
und ihren in Frage stehenden Nechten sehr ungünstigen Bevölkerung zu thun
gehabt. Dieß hat sich jetzt sehr zum Vortheil der Schweiz geändert. In
Folge ihrer Geneigtheit, Savoyen nicht ohne weiteres preiszugeben, hat sie
an diesem Lande, was vielleicht noch werthvoller ist, als ihr bisheriges Recht,
einen guten Nachbar gewonnen, welcher sich durch ein gemeinsames Interesse
mit der Schweiz verbunden fühlt. Dazu kommt, daß das Recht der Schweiz
in diesen Vorgängen sich neu gekräftigt hat, und daß es auch von den übrigen
europäischen Staaten neuerdings ausdrücklich anerkannt worden ist. Der
Bundesrath kennt sehr wohl gewisse Unklarheiten und Mißverhältnisse in dem
jetzigen Stand der Dinge, und er glaubt, daß es im Interesse beider Länder
liege, ein klareres Rechtsverhältniß an die Stelle des jetzigen zu setzen. Er
hat auch nicht ermangelt, der französischen Regierung seine Geneigtheit dazu.
zu wiederholtenmalen kundzugeben, sowie er auch deutlich zu erkennen gegeben