Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

Nebersicht der Ereignisse des Tahres 1871. 481 
danke beherrscht alle Geister und da das erste große Provinzheer von der 
Loire nach Paris zurückt, da ist auch die gewaltige Armee Friedrich Karls 
durch den Fall von Metz frei geworden und die Gefahr umfassender Diver— 
sionen beseitigt. Der Wahn Gambettas, er müsse Paris direct befreien, statt 
den Belagerern ihren Aufenthalt vor der Riesenfestung durch Zerstörung ihrer 
Verbindungen indirect unmöglich zu machen, hat den Krieg monatelang 
innerhalb solcher Grenzen festgehalten, die den Deutschen gestatteten, an der 
Hauptstelle, vor Paris, doch immer die stärksten zu bleiben und erst als 
nahezu Alles verloren, ward Bourbaki zu einem Unternehmen ausgesandt, 
das rechtzeitig aufgegriffen, große Folgen hätte haben können. 
In diesem falschen Systeme lag der entscheidende Grund, weßhalb alle 
Entsatzversuche fehlschlagen mußten; ein ebenso falsches System hat die Aus- 
fallsstrategie des General Trochu vereitelt. 
Auch General Trochu hatte als Organisator der Vertheidigung das 
Menschenmögliche geleistet, aber mit den Massen, die er organisirt, wußte er 
so wenig anzufangen als Gambetta. Gleich in den ersten Wochen nach der 
Revolution war zur Vertheidigung der Riesenstadt ganz Außerordentliches 
geschehen. Der 4. Sept. hatte Paris fast ohne Waffen und ohne Geschütze 
vorgefunden. Sechs Wochen später waren die Befestigungen vervollständigt, 
die Wälle und die Forts mit 3800 Geschützen versehen und zu den 60,000 
Mann regulärer Truppen 100,000 Mobilgarden aus den Departements 
und 400,000 bewaffnete Nationalgarden hinzugetreten. Paris war sicher 
gegen Handstreich und Ueberrumpelung, wie gegen unmittelbaren Sturman- 
griff; es war, wie Trochu sagte, inabordable und auch die Ausdauer der 
Nahrungsmittelvorräthe übertraf alle Erwartungen. In derselben Zeit freilich 
errichteten auch die Belagerer aus Erdwerken ihre Gegenforts, die Trochu unüber- 
trefflich und nicht minder inabordable fand. Gleichwohl war zweierlei klar, 
erstens daß nur ein glücklicher Ausfall, der den eisernen Ring der Belagerer 
durchbrach, die Stadt vor dem Schicksal ausgehungert zu werden bewahren 
konnte und zweitens daß ein siegverheißender Ausfall nur nach einer Richtung 
hin gewagt werden durfte, wo der Belagerte nicht durch Terrainschwierig= 
keiten verhindert ward, sein colossales Uebergewicht an Zahl der Streiter 
mit voller Wucht geltend zu machen. Und es gab eine solche Richtung. 
Während überall sonst im ganzen Umkreis von Paris entweder der Lauf 
der Seine oder die vor den Forts liegenden von den Deutschen besetzten 
Höhen jede offensive Entfaltung größerer Streitkräfte unmöglich machten, gab 
es im Nordosten ein natürliches Ausfallsthor und ein weites von französischen 
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