Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                      Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                       45 
vermeiden, wolle er auf eine nähere Beleuchtung der Kolb'schen Aufstellungen 
im Ausschusse verzichten und nur erklären, daß die Regierung denselben 
gegenüber an ihrer Berechnung festhalten müsse. Eine ähnliche Erklärung 
gab der Kriegsminister in der Sitzung vom 4. Januar, indem er darauf 
hinwies, daß zwar der ordentliche Militäretat in Zukunft um circa 4,000,000 fl. 
höher sein werde, als bisher, daß aber künftig außerordentliche Kredite darunter 
enthalten sein würden, welche bisher durch außerordentliche Etats gedeckt wor- 
den seien, z. B. Getreidepreisdifferenzen.  
         Der Majoritäts-Bericht des Abg. Jörg beginnt mit einer Kritik 
der Geschichte der Vorlage und unterscheidet in der Stellung der Staatsregierung 
bis zum Zustandekommen der Verträge drei Stadien. Als es sich im Juli 
v. J. im Kammerausschusse um die Frage der Theilnahme am Kriege gehandelt, 
habe der Graf Bray in Bezug auf die Zukunft, welche für Bayern aus dem 
Kriege hervorgehen müsse, es als selbstverständlich erklärt, daß Bayern nicht 
verfehlen würde, seine Bedingungen zu stellen, und als solche Bedingungen 
neben dem vollen Ersatze der Kriegskosten benannt: 1) daß der Zollverein als 
unkündbar zu erklären sei, 2) daß der Allianzvertrag einer näheren Inter- 
pretation bedürfe. Auf die Einwendung eines Mitgliedes, daß bei der Aner- 
kennung des casus foederis nicht in gleicher Weise wie bei einem freien Allianz- 
kriege von Bedingungen gesprochen werden könne, habe der Minister erklärt: 
allerdings wolle er Das mehr von „Voraussetzungen“ verstanden wissen. 
Offenbar habe damals die Ahnung, daß die opfervolle Beihilfe Bayerns zu 
dem deutschen Kriege die Mediatisirung des Landes zur Folge haben müsse 
oder auch nur könnte, noch sehr ferne und außerhalb aller Voraussetzungen 
der Regierung gelegen. Das Gegentheil sei mit Entschiedenheit ausgesprochen 
worden. Dieser Anschauung der Regierung in dem ersten Stadium der Ver- 
wicklung sei auch in dem zweiten, wo die Verhandlungen thatsächlich ihren 
Anfang nahmen, noch immer der gebührende Einfluß gewahrt geblieben. 
Genaueres gebe allerdings der Minister v. Lutz über die von der Regierung 
in diesem zweiten Stadium dem nordd. Bundeskanzleramt gegenüber gemachten 
Propositionen nicht an. Im Allgemeinen gäben jedoch die Mittheilungen des 
Ministers ein ziemlich klares Bild von der Stellung der Regierung. Man 
erfahre, daß die Regierung in der Nordbunds-Verfassung den „berechtigten 
Partikularismus" nicht hinreichend gewährleistet gesehen habe und von der 
Voraussetzung ausgegangen sei, „daß der norddeutsche Bund in wesentlichen 
Beziehungen umgestaltet werden könnte" (was sonach eingestandenermaßen in 
den jetzt vorliegenden Verträgen nicht geschehen sei). Auch wisse man, daß die 
damaligen Propositionen „hinter dem nunmehrigen Vertrage weit zurückge- 
standen hätten.“ Daraus ergebe sich, daß die Regierung im dritten Stadium, 
bei dem Abschlusse der Verhandlungen im November, zugegeben habe, was 
ihr noch im September zuzugeben unmöglich schien. „Im September beharrte 
die Regierung noch bei dem Axiom, daß der Nordbund eine „entschiedene Hin- 
neigung zum Einheitsstaate“ bekunde und daher an den Eintritt Bayerns in 
diesen Bund ohne Aenderung der Verfassung desselben in wesentlichen Bezieh- 
ungen nicht gedacht werden könne; aber schon im November erklärte sie den 
Eintritt Bayerns ohne die conditio sine qua non verfassungsmäßiger Garan- 
tien gegen die Entwickelung des Bundes zum Einheitsstaate.“ Wesentliche 
Aenderungen der Nordbundsverfassung seien nicht erreicht. Als Motive für 
die so gründlich veränderte Haltung der Regierung, als Momente, welche für 
Bayern eine förmliche Zwangslage geschaffen und den Eintritt in den zum 
„deutschen Bunde“ umgewandelten Nordbund zur Nothwendigkeit gemacht, 
gebe der Minister an: 1) die Gewißheit des Anschlusses von Württemberg, 
Baden und Hessen an den Nordbund, 2) das ungewisse Schicksal des Zoll- 
vereins. Dadurch, daß die kleineren süddeutschen Staaten in der tiefen Er- 
regung der Zeit, von dem festen Boden der Verträge abweichend, vorangeeilt 
seien und Bayern in der Isolirung zurückgelassen hätten, sei allerdings eine
	        
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