552 Kebersicht der Ereignisse des Jahres 1871.
beste Auskunft. Der allgemein angenommene Name Montcenistunnel ist ganz
ungenau. Der Montceenispaß liegt 25 Kilometer von dem Gebirgsjoch Col
de Frejus entfernt, unter dem der Tunnel wirklich hergeht. Die hohe Kette der
cottischen Alpen bildet eine zusammenhängende Scheidemauer zwischen Frank-
reich und Italien, oder zwischen Savoyen und Piemont, deren niedrigster
Paß über 2000 Meter Höhe über dem Meere hat. Nach italienischer Seite
fließt von dieser Kette ein Flüßchen herab, die Dora, die mit einem anderen,
der Ripa vereinigt den Namen Dora Riparia annimmt und als Bergstrom
durch ein theilweise enges Thal nach Susa, weiter nach Rivoli strömt und
bei Turin in den Po fällt. Nach französischer Seite fließt von derselben
Bergkette herab der Arc, der Anfangs durch wilde Schluchten, dann zwischen
sehr hohen Gebirgsketten in ziemlich gerader Linie fortläuft und sich dann in
die Iseère ergießt.
Diese beiden Flußthäler, der Dora und des Arc, hat man zur Anlage
der Eisenbahn benutzt; auf beiden Seiten falgt die Bahn den Thälern, hebt
sich allmälig an den Berghängen empor, bis endlich der Gipfel der Kette,
der eigentliche Paß überschritten werden mußte und, da das mit unüber-
windlichen Schwierigkeiten verknüpft war, hat man die letzte Höhe durch-
stochen: Da ist der große Tunnel. Die Monteenisstraße überschreitet die
Höhe zwischen dem großen und kleinen Monte Cenisio, zum Durchstich aber
hat man den Col de Frejus gewählt, weil hier die Abfälle beiderseits sehr
steil und das Gebirge der Art war, daß man nicht fürchten mußte, auf viel
unterirdische Gewässer zu stoßen. Es ist dies die Strecke zwischen Modane
im Thal des Arc und Bardonnache im Thal der Dora Niparia.
Der Erste, der an dieser Stelle den Alpendurchstich vorgeschlagen, war
ein Einwohner von Bardonnaêche, Guiseppe Medail, der schon 1832 dem
König Carl Albert einen Plan darüber vorlegte. Die glücklichen Vollstrecker
des Baues, der erst nach unermeßlichen Vorarbeiten vollendet werden konnte,
sind Grandis, Grattoni und Sommeiller, deren Plan 1845 von der
italienischen Regierung angenommen worden war. Der Siegestag in diesem
ungeheuren Kampf des Menschengeistes mit der Natur war der 25. December
1870, als Grattoni „aus der Tiefe des Tunnels“ nach Turin telegraphirte:
In diesem Augenblick, 4 Uhr 25 Minuten drang die Sonne durch die letzte
Scheidewand von vier Metern, gerade im Mittelpunkte des Tracis. Wir
sprachen miteinander durch die Oeffnung; der erste Ruf war: „es lebe Italien!“
Wunderbar waren die Berechnungen der Ingenieure zugetroffen bei dem
Bau von beiden Seiten her; die Abweichung der Achse betrug nur 40, der