Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                       Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
angelegenheiten überhaupt Herr und Meister zu werden. Andererseits werde 
die Agitation nicht ruhen, ehe auch die bayrischen Sonder- und Ehrenrechte 
aufgehoben würden und die angestrebte Gleichmacherei im Einheitsstaat er- 
reicht worden sei. Erkläre doch das Minoritätsgutachten selbst, daß der Ver- 
trag Vieles zu wünschen übrig lasse, was später zu erreichen und mehr noch 
wegzuräumen die Aufgabe des Reichstags und des bayrischen Landtags sei, 
und hoffe dabei auf die liberale Richtung des künftigen Reichstags. Auch 
ihm (Ref.) sei, namentlich auch aus Berlin, die Versuchung nahe getreten, 
auf Grund ähnlicher Erwägungen der Zweckmäßigkeitspolitik für die Annahme 
der Verträge sich bestimmen zu lassen. In dem großen Ganzen, habe es ge- 
heißen, würden die Mittel gegeben sein, um den fortschrittlichen Wühlereien 
überhaupt einen kräftigen Damm zu setzen; von den kleinen Staatssonder- 
wesen sei nichts Anderes zu erwarten, als daß sie stets für andere Macht- 
verluste an den Rechten der Kirche sich schadlos halten möchten, während im 
deutschen Reichstage eine starke „katholische Fraktion" wirksam sein würde. 
Er (Ref.) perhorreszire aber jede Art von Zweckmäßigkeitspolitik und utili- 
tarischer Spekulation; der Boden des Rechts sei für ihn die allein sichere und 
nicht täuschende Basis, und auch zur Vertheidigung der kirchlichen Interessen 
wolle er den Boden der bayrischen Verfassung nicht verlassen. Das Uebel 
der inneren Agitation werde man also so wie so zu bestehen haben. Sei aber 
einmal der Damm durchschnitten, so erscheine das Aufgehen Bayerns in den 
unitarischen deutschen Staat unfehlbar nur mehr als eine Frage der Zeit. 
Das materielle Interesse werde bei dem schwer belasteten Volke alle andern 
Gefühle und Rücksichten überwuchern, und es werde mehr sein, als bloß die 
Aeußerung vorübergehenden Unmuths: „Lassen wir uns lieber gleich annek- 
tiren." Darin allein seien die Parteien innerlich einig, daß der durch die 
Verträge zugemuthete Zwitterzustand schlechthin unerträglich wäre. Was den 
Eindruck der Nichtannahme der Verträge auf den Feind betreffe, so würden 
„alle Völker und Zungen ein solches Votum in dem richtigen Sinne zu ver- 
stehen wissen, wenn nicht anders Jemand die Aufrechthaltung des § 1 der 
bayr. Verfassung als eine Strafe für sich ansehen und den Krieg gegen Frank- 
reich von Anfang an und in erster Reihe als einen Befreiungskrieg gegen die 
gedachte Grundbestimmung der Verfassung zu Gunsten Preußens betrachten 
wollte.“ Nur von diesem Gesichtspunkte aus lasse es sich auch begreifen, 
wenn das Gutachten glaube, die Ablehnung werde auf unsere im Felde stehen- 
den Krieger einen peinlichen Eindruck machen. Bei unseren einfachen Wehr- 
männern sicher nicht! Solle aber damit die Neigung mancher Soldaten von 
Beruf gemeint sein, lieber der Armee einer großen Militärmacht anzugehören, 
so sei eine solche sehr verzeihlich; die Rücksicht auf die bewaffnete Macht als 
einzelnen Stand dürfe aber nicht ungebührlich ins Gewicht fallen. Zu der 
dem Antrag des Referenten angehängten Bitte an Se. Maj. den König sei 
Referent keineswegs durch ein Gefühl der Verlegenheit bewogen worden, sondern 
durch sehr nahe liegende Gründe. Das Minoritätsgutachten habe freilich 
auch in der historischen Einleitung des (Jörg'schen) Referats bloß eine kritische 
Abwandlung der Regierung erblickt. Die drei Stadien des politischen Pro- 
zesses seien für den Referenten schon deßhalb von Bedeutung, weil er mit einer 
Anzahl von Genossen bei einer auch in den Erläuterungen des Ministers 
v. Lutz angezogenen Verhandlung bis zu einer gewissen Grenze seine Zu- 
stimmung erklärt gehabt babe. Diese Grenze sei noch beim Beginne des ersten 
Verhandlungsstadiums, in der ersten Hälfte Septembers, von der Regierung 
eingehalten worden, und der damals gezogenen Linie glaube Referent mit 
seiner Bitte an den König prinzipiell zu entsprechen, eine Pflicht gegenüber 
dem bestehenden Recht in loyaler Weise zu erfüllen und zugleich den ver- 
änderten Umständen bis zu jener Grenze Rechnung zu tragen, zu deren unver- 
brüchlicher Einhaltung er nicht ein leeres Wort verpfändet habe. Ref. glaubt 
sich schließlich mit der ihm auferlegten drängenden Eile entschuldigen zu dürfen,
	        
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