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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
angelegenheiten überhaupt Herr und Meister zu werden. Andererseits werde
die Agitation nicht ruhen, ehe auch die bayrischen Sonder- und Ehrenrechte
aufgehoben würden und die angestrebte Gleichmacherei im Einheitsstaat er-
reicht worden sei. Erkläre doch das Minoritätsgutachten selbst, daß der Ver-
trag Vieles zu wünschen übrig lasse, was später zu erreichen und mehr noch
wegzuräumen die Aufgabe des Reichstags und des bayrischen Landtags sei,
und hoffe dabei auf die liberale Richtung des künftigen Reichstags. Auch
ihm (Ref.) sei, namentlich auch aus Berlin, die Versuchung nahe getreten,
auf Grund ähnlicher Erwägungen der Zweckmäßigkeitspolitik für die Annahme
der Verträge sich bestimmen zu lassen. In dem großen Ganzen, habe es ge-
heißen, würden die Mittel gegeben sein, um den fortschrittlichen Wühlereien
überhaupt einen kräftigen Damm zu setzen; von den kleinen Staatssonder-
wesen sei nichts Anderes zu erwarten, als daß sie stets für andere Macht-
verluste an den Rechten der Kirche sich schadlos halten möchten, während im
deutschen Reichstage eine starke „katholische Fraktion" wirksam sein würde.
Er (Ref.) perhorreszire aber jede Art von Zweckmäßigkeitspolitik und utili-
tarischer Spekulation; der Boden des Rechts sei für ihn die allein sichere und
nicht täuschende Basis, und auch zur Vertheidigung der kirchlichen Interessen
wolle er den Boden der bayrischen Verfassung nicht verlassen. Das Uebel
der inneren Agitation werde man also so wie so zu bestehen haben. Sei aber
einmal der Damm durchschnitten, so erscheine das Aufgehen Bayerns in den
unitarischen deutschen Staat unfehlbar nur mehr als eine Frage der Zeit.
Das materielle Interesse werde bei dem schwer belasteten Volke alle andern
Gefühle und Rücksichten überwuchern, und es werde mehr sein, als bloß die
Aeußerung vorübergehenden Unmuths: „Lassen wir uns lieber gleich annek-
tiren." Darin allein seien die Parteien innerlich einig, daß der durch die
Verträge zugemuthete Zwitterzustand schlechthin unerträglich wäre. Was den
Eindruck der Nichtannahme der Verträge auf den Feind betreffe, so würden
„alle Völker und Zungen ein solches Votum in dem richtigen Sinne zu ver-
stehen wissen, wenn nicht anders Jemand die Aufrechthaltung des § 1 der
bayr. Verfassung als eine Strafe für sich ansehen und den Krieg gegen Frank-
reich von Anfang an und in erster Reihe als einen Befreiungskrieg gegen die
gedachte Grundbestimmung der Verfassung zu Gunsten Preußens betrachten
wollte.“ Nur von diesem Gesichtspunkte aus lasse es sich auch begreifen,
wenn das Gutachten glaube, die Ablehnung werde auf unsere im Felde stehen-
den Krieger einen peinlichen Eindruck machen. Bei unseren einfachen Wehr-
männern sicher nicht! Solle aber damit die Neigung mancher Soldaten von
Beruf gemeint sein, lieber der Armee einer großen Militärmacht anzugehören,
so sei eine solche sehr verzeihlich; die Rücksicht auf die bewaffnete Macht als
einzelnen Stand dürfe aber nicht ungebührlich ins Gewicht fallen. Zu der
dem Antrag des Referenten angehängten Bitte an Se. Maj. den König sei
Referent keineswegs durch ein Gefühl der Verlegenheit bewogen worden, sondern
durch sehr nahe liegende Gründe. Das Minoritätsgutachten habe freilich
auch in der historischen Einleitung des (Jörg'schen) Referats bloß eine kritische
Abwandlung der Regierung erblickt. Die drei Stadien des politischen Pro-
zesses seien für den Referenten schon deßhalb von Bedeutung, weil er mit einer
Anzahl von Genossen bei einer auch in den Erläuterungen des Ministers
v. Lutz angezogenen Verhandlung bis zu einer gewissen Grenze seine Zu-
stimmung erklärt gehabt babe. Diese Grenze sei noch beim Beginne des ersten
Verhandlungsstadiums, in der ersten Hälfte Septembers, von der Regierung
eingehalten worden, und der damals gezogenen Linie glaube Referent mit
seiner Bitte an den König prinzipiell zu entsprechen, eine Pflicht gegenüber
dem bestehenden Recht in loyaler Weise zu erfüllen und zugleich den ver-
änderten Umständen bis zu jener Grenze Rechnung zu tragen, zu deren unver-
brüchlicher Einhaltung er nicht ein leeres Wort verpfändet habe. Ref. glaubt
sich schließlich mit der ihm auferlegten drängenden Eile entschuldigen zu dürfen,