Kebersicht der Ereignisse des Lahres 1871. 555
Schlacht."“ Einstweilen scheint es nicht, als wollte der königliche Schmerzens-
schrei Anklang finden bei diesem nüchternen Volke. Bis das geschieht, wird
Nichts anderes übrig bleiben, als dem deutschen Reiche mit hetzenden Zeitungs-
artikeln im Amtsblatt den Krieg zu machen, die zwar vermöge der wohlbe-
kannten Namenschiffre C eines höheren Ursprungs dringend verdächtig sind,
aber jedesmal, wenn sie Aufsehen erregen, beharrlich als fremde Machwerke
abgeleugnet werden.
Für Dänemark ist auch in diesem Jahr der Tag nicht erschienen,
von dem es die „Wiederherstellung des vergewaltigten Vaterlandes“ so sehn-
lich erwartet. Vielmehr schwinden die Aussichten darauf, daß er überhaupt
jemals kommen werde, so augenfällig dahin, daß man selbst in Kopenhagen
anfängt, sich alter liebgewordener Täuschungen zu entschlagen. Man muß
doch wohl annehmen, daß in der öffentlichen Meinung dieses Landes sich ein
Umschwung vorbereitet, wenn in den „.Zeitbetrachtungen“ eines dänischen
Obergerichtsprokurators Ansichten öffentlich ausgesprochen werden, die auch
nur zu hegen, früher als Verrath an allen Heiligthümern dieses Volks be-
trachtet worden wäre. Die Flugschrift von J. H. Bagger, hat großes Auf-
sehen erregt, weil man nicht gewohnt war, von einem hochgestellten dänischen
Staatsbeamten zu hören was hier gesagt war: „Dänemark ist ein Kleinstaat,
der ein für allemal aufhören muß, große Politik zu treiben. Für ihn ist
die Hauptsache nicht von der Landkarte zu verschwinden: bene vixit qui benc
latuit. Die französische Allianz hat Nichts als Unheil gebracht. An Stelle
der Gefühle muß endlich die Vernunft treten. Und die sagt uns, daß wir
die Erbfeindschaft gegen die Deutschen aufgeben, überwinden müssen, ob wir
wollen oder nicht. Es ist handgreiflich, daß Dänemark in Zukunft seinen
Halt nirgends sonst zu suchen hat als allein in Berlin. Ich weiß, daß dies
scharfe Wort die Empfindlichkeit von tausend und abertausend Mitbürgern
schwer verletzen wird, aber das darf mich nicht hindern, mich offen zu dem
zu bekennen, was ich für Recht und Wahrheit halte.“ Dürften wir an-
nehmen, daß die Einsicht, die aus dieser bisher ganz vereinzelten Stimme
redet, sich allmälig der Politik Dänemarks bemächtigen werde, so hätte das
Jahr 1871 in seiner Geschichte Epoche gemacht. Sie hätte gewonnen, was
dem durch überlegenes Recht und überlegene Waffen Geschlagenen dringend
nöthig ist: den Muth des gesunden Menschenverstandes.
Rußland ruhte aus auf den unblutigen Lorberen, die sein Sieg in
der Pontusangelegenheit der Diplomatie des greisen Fürsten Gortschakoff ein-
getragen, fuhr fort an seiner inneren Sammlung, wie an dem Kampf gegen