Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

                     Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                             51 
wenn er Manches von Dem, was seine ganze Seele bewegt, nur obenhin an- 
gedeutet habe, und wenn er bezüglich der Form hinter dem elegant ausge- 
arbeiteten Minoritätsgutachten weit zurückgeblieben sei. 
            Minderheitsgutachten (von M. Barth, Crämer und Louis): 
„Wir machen von dem uns nach Art. 50 Abs. 3 mit Art. 51 der Geschäfts- 
ordnung zustehenden Rechte Gebrauch, indem wir der hohen Kammer vor- 
schlagen: „Hohe Kammer wolle beschließen, es sei zum Vollzuge 1) des Bündniß- 
vertrags zwischen Bayern und dem Norddeutschen Bunde d.d. Versailles, 
23. November 1870 und der darin enthaltenen Verfassung, 2) des Schluß- 
protokolls zu diesem Vertrage vom nämlichen Tage, 3) der Vereinbarung 
zwischen Bayern, dem Norddeutschen Bunde, Württemberg, Baden und Hessen 
d.d. Berlin, 8. December 1870, 4) der mit Zustimmung der betheiligten 
Regierungen in III § 8 des Hauptvertrags laut der Note des k. Staats- 
ministeriums des Aeußern vom 13. December 1870 getroffenen Aenderung, 
5) der nach derselben Note in II des Schlußprotokolls getroffenen Aenderung 
und 6) der im Betreff von Kaiser und Reich im Eingange der Bundesver- 
fassung und in Art. 11 Abs. 1 nach derselben Note getroffenen Aenderungen, 
soweit dadurch der verfassungsmäßige Wirkungskreis des Landtags berührt 
wird, die Zustimmung zu ertheilen.“ Motive. Wir haben es bei Be- 
gründung dieses Vorschlags nicht mit der Rechtfertigung des bayrischen Staats- 
ministeriums, sondern lediglich mit der Prüfung der der Kammer gemachten 
Vorlagen zu thun, können daher von der historischen Einleitung absehen, 
welche der Hr. Ausschußreferent seinem für den Ausschuß erstatteten Gutachten 
einverleibt hat. Für die Sache ist es gleichgültig wie viele Stadien seiner 
Entwickelung das Staatsministerium durchgemacht hat, und wie dieselben be- 
schaffen waren; es fragt sich nur ob das im letzten Stadium zu Stande ge- 
kommene Verfassungswerk anzunehmen oder abzulehnen ist. Was nun diese 
Frage betrifft, so haben wir mit unsern Gesinnungsgenossen bei verschiedenen 
Gelegenheiten, insbesondere bei der letzten Adreßdebatte, bereits in der Kammer 
die Anschauung vertreten, daß der nach den Ereignissen des Jahres 1866 ge- 
gründete Norddeutsche Bund durch den Zutritt der süddeutschen Staaten auf 
der Grundlage seiner bisherigen Verfassung unter einigen Modificationen und 
mit einigen besondern Reservaten für Bayern zu einem Deutschen erweitert 
und umgebildet werden solle, und haben wir gleichzeitig die Idee der Gründung 
eines engern und eines weitern Bundes, wobei Bayern nur dem letztern an- 
gehören sollte, bekämpft. Wenn wir daher mit dem dermal der Zustimmung 
des Landtags unterbreiteten Vertrag uns im Princip einverstanden erklären, 
können wir uns zur Rechtfertigung dieses principiellen Einverständnisses auf 
die früheren Ausführungen beziehen, und uns darauf beschränken die Einzel- 
heiten des Vertrags der Prüfung zu unterwerfen. Hiebei müssen wir aller- 
dings bekennen, daß auch wir durch den Vertrag keineswegs befriedigt 
sind, sondern manches anders gewünscht hätten, was wohl auch anders ge- 
worden wäre, wenn es die Umstände gestattet hätten, die Verfassung einer dazu 
berufenen deutschen Volksvertretung vorher zum Beirath und zur Zustimmung 
vorzulegen. Was zunächst die Modificationen betrifft, die nach unserer bei der 
erwähnten Adreßdebatte entwickelten Ansicht in der norddeutschen Bundesver- 
fassung vorzunehmen gewesen wären, so glauben wir zwar, daß durch die Be- 
stimmung des jetzigen Art. 78, wonach Aenderungen in der Verfassung im 
Bundesrathe nur mit einer Mehrheit von 45 Stimmen angenommen werden 
können, und durch das in V des Vertrags Bayern eingeräumte Veto gegen 
Alterirung der ihm bewilligten Sonderrechte dem bayrischen Staat ein ge- 
nügender Schutz gegen eine seine Interessen beeinträchtigende Veränderung der 
Bundesverfassung umsomehr gegeben sei, als schon ein Zusammenwirken der 
drei Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg, als der bei der Fern- 
haltung unitarischer Bestrebungen am meisten interessirten und durch dieses 
                                                                                                                                 4*
	        
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