Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 53
nicht zu. Wenn wir nicht sehr irren, wird dieses Ausnahmsverhältniß unserm
Lande bald so viele Verlegenheiten bereiten, daß es darauf gern freiwillig
verzichten wird. Die Bayern in Beziehung auf die auswärtigen Angelegen-
heiten bewilligten Prärogative betrachten wir als Ehrenrechte, jedenfalls nicht
als solche sachliche Zugeständnisse, welche für die Leitung der deutschen Politik
nachtheilig werden könnten, finden daher nichts dagegen zu erinnern, obschon
wir nicht verkennen, daß eine glückliche Leitung gerade dieser Branche vor-
aussetzt, daß dieselbe in eine Hand gegeben sei. Daß in Bayern die Be-
steuerung des inländischen Branntweins und Biers der Landesgesetzgebung
vorbehalten bleibt, ist ein zur Zeit durch die Verhältnisse gerechtfertigtes
Reservat, auch wollen wir den Vorbehalt der selbständigen Verwaltung des
bayrischen Post= und Telegraphenwesens, da sich die bayrische Regierung dabei
im wesentlichen nach den betreffenden Bundesgesetzen zu richten hat, nicht an-
fechten; warum aber Bayern von der so nothwendigen Einheit der Gesetzgebung
auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens fast gänzlich emancipirt sein soll, ver-
mögen wir wieder nicht abzusehen. Bei dem Militärwesen finden wir es den
Verhältnissen angemessen, daß Bayern die selbständige Verwaltung seiner Armee
im Frieden gelassen wurde, und wir theilen auch nicht die Befürchtung, als
könnte daraus, daß die Mobilisirung der bayrischen Armee auf Veranlassung
des Bundesfeldherrn durch Se. Maj. den König von Bayern erfolgt, eine
Gefahr für den Bund entstehen; dagegen bedauern wir lebhaft die Bestimmung
über das Militärbudget in III. § 5 II des Vertrags. Nach unserer Ansicht
wäre es besser, auch im specifisch bayrischen Interesse, wenn die Specialetats
des Bundesmilitärbudgets für Bayern maßgebend wären und die bei Durch-
führung desselben sich ergebenden Ersparungen der Bundescasse zu gute kämen,
wogegen dann diese auch die durch unvorhergesehene Fälle oder Preis-
schwankungen hervorgerufenen Mehrausgaben zu tragen hätte. Es würde dieß
einerseits mehr Sicherheit bringen, andrerseits aber den Reibungen zwischen
dem Reichstag und dem bayrischen Landtag vorbeugen, die bei dem jetzt be-
liebten System nur zu leicht hervortreten können. Was wir aber auch an
dem vorliegenden Vertrag so manches auszusetzen haben, so können uns diese
Ausstellungen doch nicht zur Ablehnung des Vertrags bestimmen. Läßt der-
selbe auch noch vieles zu wünschen übrig, welches zu erreichen später die Auf-
gabe des Reichstags und zum Theil auch des bayrischen Landtags sein wird,
so ist doch nicht zu verkennen, daß durch denselben für die nationale Sache
großes gewonnen wird. Daß der casus foederis mit seinen Gefahren für die
Sicherheit des jedesmaligen Zusammengehens, wenn Deutschlands Grenzen
oder Deutschlands Ehre und Interessen bedroht sind, aus der Welt geschafft
wird; daß an die Stelle des kündbaren Zollvereins ein festgegründetes deutsches
Reich tritt, in welchem alle Zollvereinsstaaten vereinigt sind; daß die deutschen
Staaten und das deutsche Volk im Bundesrath und Reichstag unter dem von
den deutschen Fürsten in lange nicht dagewesener Einigkeit selbst gesetzten Kaiser
zu einem Achtung gebietenden Organismus sich verbunden sehen; daß das
Reich als politische Einheit durch deutsche Gesandte und deutsche Consuln im
Staatenkreise künftig vertreten sein wird; daß wir eine deutsche Marine und
ein deutsches Heer haben werden, wie wir bisher ein gemeinsames Zoll= und
Handelswesen schon gehabt haben; daß die Verkehrsanstalten und so viele zur
Unificirung geeignete Zweige der Gesetzgebung künftig räumlich wie dem Stoffe
nach in weit ausgedehnterm Maß als bisher gemeinsam sein werden — das
alles zusammengenommen ist, zumal es auch der so geschaffenen Einheit an
der Fähigkeit der Fortbildung nicht fehlt, ein so bedeutender Fortschritt, daß
wir es gegen das Vaterland nicht verantworten zu können glauben würden,
wenn wir das Gute was uns geboten wird, um der Schlacken willen die noch
damit verquickt sind, zurückweisen wollten. Wir dürfen an den vorliegenden
Vertrag die von uns früher als Grundlage einer zu pflegenden Unterhandlung
aufgestellten Forderungen in ihrem ganzen Umfang um so minder als Maßstab