Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 77
auch eine Bannbulle gegen den altkatholischen „Rheinischen Merkur“ den
Schülern der mittlern und obern Klassen vorlesen müssen. In beiden Fällen
handelte es sich also darum, ob die preußischen Unterichtsanstalten und ihre
Lehrer unter der Oberaufsicht des Staates oder der Kirche stehen und in
beiden Fällen ist der Verfassung (Art. 23) gemäß zu Gunsten des Staats ent-
schieden worden.
20. März. (Bayern.) Das katholische Actions-Comité in München erläßt
eine öffentliche Antwort auf den gegen dasselbe gerichteten Hirtenbrief
des Erzbischofs:
„ . . . . Nicht uns, hochw. Herr, trifft der von Ihnen ausgesprochene Vor-
wurf, namenloses Unglück und heillose Spaltung in unser Vaterland Bayern
zu bringen und den gänzlichen Umsturz der kirchlichen und staatlichen Autorität
anzustreben, sondern Diejenigen, welche die Gebote einer fremden, in Rom
dominirenden Macht über die Autorität der Regierung unseres Königs stellen
und ihr hohes geistliches Amt dazu benutzen, die Angehörigen der katholischen
Kirche zu einem innerlichen Abfalle von unserer Verfassung im Gewissen zu
verpflichten. Mit Ihnen, hochw. Herr Erzbischof, bekümmert uns tief die
schwere Gefährdung der kirchlichen Autorität, aber wir müssen die Schuld an
dieser traurigen Thatsache vor Allem dort erkennen, wo einerseits der Ueber-
muth der Gewalt an der alten Lehre und Verfassung der Kirche frevelte,
andererseits der Mangel an klarer Erkenntniß des überlieferten Glaubens oder
ein furchtsamer, die eigene bessere Einsicht aufopfernder Gehorsam diesen Frevel
unterstützte. Indem wir uns bewußt sind, für eine heilige Sache in den Kampf
gegangen zu sein, stärkt uns zugleich die feste Hoffnung, daß, welche zeitweilige
Verdunklungen der Wahrheit und des Rechtes auch kommen mögen, diesen
doch schließlich der Sieg nicht fehlen werde."“
21. „ (Deutsch-franz. Krieg.) In Folge der RNevolution am
18. ds. in Paris wird die Rücksendung der franz. Kriegsgefangenen
aus Deutschland vorläufig suspendirt.
„ „ (Deutsches Reich.) Feierliche Eröffunng des ersten deutschen
Reichstags. Viele deutsche Fürsten haben sich dazu nach Berlin be-
geben. Thronrede des Kaisers.
„Geehrte Herren! Wenn ich nach dem glorreichen, aber schweren Kampfe,
den Deutschland für seine Unabhängigkeit siegreich geführt hat, zum ersten
Male den deutschen Reichstag um mich versammelt sehe, so drängt es mich
vor Allem, meinem demüthigen Dank gegen Gott Ausdruck zu geben für die
weltgeschichtlichen Erfolge, mit denen seine Gnade die treue Eintracht der deut-
schen Bundesgenossen, den Heldenmuth und die Mannszucht unserer Heere
und die opferfreudige Hingebung des deutschen Volkes gesegnet hat. Wir
haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter für Deutschland erstrebt wurde:
die Einheit und deren organische Gestaltung, die Sicherung
unserer Grenzen, die Unabhängigkeit unserer nationalen
Rechtsentwicklung. Das Bewußtsein seiner Einheit war in dem deutschen
Volke, wenn auch verhüllt, doch stets lebendig; es hat seine Hülle gesprengt in
der Begeisterung, mit welcher die gesammte Nation sich zur Vertheidigung
des bedrohten Vaterlandes erhob und in unvertilgbarer Schrift auf den Schlacht-
feldern Frankreichs ihren Willen verzeichnete, ein einiges Volk zu sein und
zu bleiben. Der Geist, welcher in dem deutschen Volke lebt und seine Bildung
und Gesittung durchdringt, nicht minder die Verfassung des Reiches und seine
Heereseinrichtungen bewahren Deutschland inmitten seiner Erfolge
vor jeder Versuchung zum Mißbrauche seiner durch seine
Einigung gewonnenen Kraft. Die Achtung, welche Deutschland für