Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 79
gebenden Consequenzen nicht etwa blos die innern Verhältnisse der katholischen
Kirche, sondern auch die zwischen Kirche und Staat, wie sie bisher in Bayern
verstanden, gehandhabt und festgehalten worden sind, eine große und durch-
greifende Veränderung erleiden. Nach Ansicht des unterfertigten kgl. Staats-
ministeriums steht unbestritten fest, daß, falls die in dieser Constitution definirte
Machtstellung des Oberhauptes der katholischen Kirche auf gewissen Gebieten,
welche übrigens bereits durch frühere päpstliche Erlasse betreten worden sind,
in der That verwerthet wird, Fundamentalsätze des bayrischen Verfassungs-
rechtes in Frage gestellt und insbesondere die staatsbürgerlichen Rechte der
Nichtkatholiken des Landes gefährdet werden. Zwar ist im Widerstreite mit
der eben erwähnten Auffassung von manchen Seiten auf das entschiedenste be-
tont worden, daß das neu definirte Dogma in striktester Weise auf das Gebiet
des Glaubens und der Religionslehre eingeschränkt sei und bleibe. Diese Be-
hauptung kann aber ebenso wenig wie die übrigen von dem hochwürdigsten
Hrn. Erzbischof von Bamberg, Michael v. Deinlein, gegebenen mildernden
Erläuterungen zu der mehrerwähnten Constitution eine ausreichende Beruhigung
gewähren, denn es fehlt jede Garantie dafür, daß jenen vielfachen, in früheren
Zeiten erschienenen päpstlichen Kundgebungen, welche sich in einschneidender Weise
auf das weltliche Gebiet erstrecken, fortan niemals jenes Gewicht beigemessen
wird, welches den Aussprüchen des ex cathedra lehrenden Papstes zukommen
soll, ebenso wie dafür, daß künftig keine Entscheidungen dieser Art mehr er-
gehen werden. Sodann ist auch das Gebiet des Glaubens und der Religions-
lehre nicht allenthalben fest genug abgegrenzt, als daß die Möglichleit ausge-
schlossen wäre, in dasselbe auch solche Fälle einzubeziehen, welche unzweifelhaft
das weltliche Gebiet mitberühren. . . ."
23. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: wählt zu Präsidenten Simson
(Preußen), Fürst Hohenlohe (Bayern) und Weber (Württemberg).
Die Regierung legt dem Reichstage die revidirte Reichsverfassung vor.
26. „ (Elsaß-Lothringen.) Bismarck theilt den Delegirten der
Straßburger Handelskammer mit, daß beim Bundesrath und Reichs-
tage die Bewilligung der Mittel beantragt werden solle, um den Be—
wohnern von Elsaß-Lothringen den Ersatz der erlittenen Kriegsschäden
nach den nämlichen Grundsätzen und in gleichem Umfange zu ge—
währen, wie den übrigen Theilen Deutschlands.
27. „ (Preußen.) v. Schweitzer tritt von der social-democratischen
Agitation zurück.
28. „ (Deutsch-franz. Krieg.) Die Friedensconferenz in Brüssel
hält ihre erste Sitzung.
„ „ (Bayern.) Der Stiftsprobst und Reichrath v. Döllinger be-
antwortet die wiederholte Aufforderung des Erzb. von München, sich
den Beschlüssen des vaticanischen Concils zu unterwerfen, mit folgender
Erklärung:
„Eure Excellenz haben mich in zwei Schreiben aufgefordert, mich über
meine Stellung zu den von Ihnen verkündeten römischen Beschlüssen vom
18. Juli 1870 zu erklären. Aus dem Kreise Ihres Domkapitels verlautet,
daß Sie gesonnen seien, mit Straf- und Zwangsmitteln gegen mich vorzu-
gehen, wie sie sonst nur gegen solche Priester, welche sich grober sittlicher Ver-
gehen schuldig gemacht haben, und auch gegen diese nur in sehr seltenen Fällen
angewendet werden. Es soll dieß geschehen, wenn ich nicht in bestimmter
Frist meine Unterwerfung unter die beiden neuen Glaubensartikel von der