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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Deutschkands, daß es nicht unsere Aufgabe sein soll, in das innere Leben
fremder Nationen einzugreifen. (Beifall.) Damit werden wir gar nicht darauf
verzichten, alle Angriffe kräftig zurückzuweisen. Aber wir hoffen, daß damit
die Verirrungen, von denen ich gesprochen, im Keime erstickt werden; wir
werden so uns den Frieden sichern und dem Auslande die Genugthuung einer
friedlichen Politik geben. Wir werden damit aber auch zur Abwehr jederzeit
gerüstet sein. Stark genug sind wir mit unserer Heereseinrichtung jedem
Angriff eines einzelnen Landes gegenüber, stark genug selbst gegen eine Koalition
mehrerer Staaten, und die Staatskunst, welche die letzten Jahre die deutsche
Politik gleichmäßig kühn und umsichtig mit fester Hand geleitet hat, wird
dafür sorgen, daß größere Gefahren unserem Vaterlande erspart werden, und
darin auf unserer Seite für jetzt und künftig eine kräftige Stütze finden.
(Beifall.) Stark in unserer Kraft werden wir von anderen Völkern nicht an-
gegriffen werden und die Zeit haben, die Culturaufgaben zu entwickeln, die
ganz besonders das deutsche Volk durch seine reichen und köstlichen Gaben zu
erfüllen berufen ist. (Lebhafter Beifall.) Reichensperger (Crefeld): In
andern Ländern werden Adreßdebatten dazu benutzt, nicht nur die Gegensätze
der Parteien in ihrer Schärfe aufzudecken. sondern auch die Ministerien zu
bekämpfen. Um alle diese Zwecke handelt es sich Gottlob hier nicht, sondern
diese Debatten haben in erster Reihe den Zweck, uns darüber zu verständigen,
was uns allen gemeinsam ist. Aber dann soll man alle historischen Rückblicke
und Exkurse vermeiden. Wir haben daher in dem Entwurf des Vorredners
Alles gestrichen, was nicht die Gegenwart und die Zukunft betrifft, denn in
unseren Vätern haben wir alle gesündigt. Daran schließt sich der Passus von
der Nichtintervention, den wir auch gestrichen haben. Daß wir deßhalb keine
kriegerische Absicht haben, darüber können Sie beruhigt sein. Wir wollen, wie
Sie, die friedliche Entwicklung des Reiches und seines Verhältnisses zu den
Nachbarstaaten. Einen positiven Ausdruck über die Eventualität einer Inter-
ventionspolitik haben auch wir gesucht, aber, wie ich aufrichtig bekenne, nicht
gefunden. Der Passus, daß wir andere Völker schlechthin sich selbst zu über-
lassen haben, ist lediglich ein theoretischer und praktisch nicht zu billigen.
Bisher galt es für Christenpflicht, löschen zu helfen, wenn das Haus des
Nachbarn brennt (Unterbrechung links), aber diese Christenpflicht scheint für
Die, die mich unterbrechen, ein überwundener Standpunkt zu sein, vielleicht
leuchtet sie als eine Pflicht der Selbsterhaltung im eigenen Interesse besser ein.
Wenn in einem Staate eine große Gährung ausbricht, dann soll dieses große
deutsche Reich im Herzen Europas sich dagegen nicht schützen und erst dann Dämme
bauen, wenn der Durchbruch erfolgt ist? Dem Heereszuge über die Alpen
will ich nicht das Wort reden, aber ihm auch nicht absolut den
Riegel vorschieben. Denn die Traktate, auf denen das Gleichgewicht Europas
ruht, können in so unerhörter Weise erschüttert werden, daß man den Folgen vor-
beugen muß, wenn es sein muß, durch die ultima ratio. Uns ziemt es nicht,
den gestürzten Herrscher nachzuahmen, der die Verträge von 1815 als detestabel
bezeichnete. Wir wollen nicht den Gegensatz, sondern die Einheit von Kaiser
und Papst (lebhafte Unterbrechung), ich sollte meinen, daß Das ein berechtigter
Wunsch ist. Was den Rest der Adresse betrifft, theilen wir den Wunsch, die
Wunden des Krieges zu heilen, aber nicht die Aufforderung zur Beschleunigung
einheitlicher Gesetze; denn die Fruchtbarkeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung
artet leicht in Superfötation aus, und diese Versammlung soll keine mit der
Dampfmaschine arbeitende Gesetzesfabrik, sondern der Zweifel eingedenk sein,
welche Savigny an dem Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung hegte, und des
Spruches „hic leges, hic mores“. Bloß um der Einheitlichkeit willen soll
man die alten Gesetze nicht verbrennen, die seit Jahrhunderten mit dem Fleisch
und Blut der Stämme verwachsen sind. Wo die Einheit wahren Vortheil
bringt, da wollen wir sie auch. Aber dem Wunsche, die berechtigten Eigen-
thümlichkeiten der deutschen Staaten zu schonen, vor dem kaiserlichen Throne