Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                        Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
erst in Zukunft zeigen. Der zweite Satz, welcher jener Schlichtheit wenig ent- 
spricht, lautet: „Auch Deutschland hat einst, indem die Herrscher den Ueber- 
lieferungen eines fremdländischen Ursprungs folgten, durch Einmischung in das 
Leben anderer Nationen die Keime des Verfalles empfangen.“ Inwieweit die 
aus diesem Satze sprechende Geschichtsauffassung richtig ist, will ich nicht unter- 
suchen, aber ich nehme volle Freiheit auch für meine gegentheilige Geschichts- 
auffassung in Anspruch. Der Satz: „Die Tage der Einmischung in das 
innere Leben anderer Völker werden unter keinem Vorwande und in keiner 
Form wiederkehren" macht mir die Annahme der Adresse völlig unmöglich. 
Sie haben einem Vertrage mit Salvador Ihre Genehmigung ertheilt, der 
jenem Staate Verpflichtungen auferlegt; wenn ihnen nun nicht entsprochen 
wird, werden Sie dann auch von Nichtintervention sprechen? Wenn Deutsche 
in Frankreich rechtlos gemacht werden sollten, werden Sie sich dann auch für 
Nichtintervention entscheiden? Freilich handelt es sich hiebei lediglich um den 
Schutz der materiellen Güter. Aber kann nicht die Möglichkeit eintreten, für 
den Schutz ideeller Güter eintreten zu müssen? Unsere Adresse hält sich von 
Ausschreitungen fern, ist daher sehr wohl dazu angethan, von dem Hause an- 
genommen zu werden. Völk (Bayern): Um den Kern der Frage sind die 
Gegner herumgegangen, wie um den heißen Brei die Katze. Während hier 
die Gegner allerlei Theoreme aufgestellt haben über die Zulässigkeit der Inter- 
ventions= und Nichtinterventionspolitik, gestaltete sich in der Praxis die Sache 
weitaus anders. In den verschiedenen Wahlkreisen nämlich ist ganz einfach 
dieses Theorem als Agitationsmittel benutzt worden. Man müsse, riefen die 
gegnerischen Stimmführer, lediglich gut katholische Männer in den Reichstag 
wählen, weil dieser die Aufgabe habe, bei der kaiserlichen Regierung auf eine 
Intervention zu Gunsten des Papstes hinzuwirken. (Lärm, die Clericalen 
rufen Nein, die Liberalen Ja.) Nach meiner Ansicht kann der Streit am 
Besten dadurch beigelegt werden, daß die Clericalen hier öffentlich ihre Miß- 
billigung über jenes Agitationsmittel aussprechen. Mein Wahlkreis ist ein 
vorwiegend von Katholiken bewohnter, und als ich meinen Wählern gegenüber 
erklärte, es handle sich für die Zukunft um die Abwehr germanischer Geistes- 
freiheit gegen romanische Knechtschaft, haben mich die Gegner freilich keiner 
übergroßen Treue gegen die Kirche geziehen, allein die Wähler haben die 
bündigste Antwort ertheilt und mich mit nahezu 10,000 Stimmen gewählt. 
Der Gegensatz zwischen Kaiser und Papst ist allerdings vorhanden, aber Letzterer 
hat ihn selber geschaffen. An dem Papste ist es, solchen Sätzen seine Sanktion 
nicht zu ertheilen, welche ihn nothwendig in einen Konflikt mit jedem der be- 
stehenden Staaten führen müssen. Wie die Dinge nunmehr liegen, sind wir 
gezwungen, diesen Gegensatz aufzunehmen und zu bekämpfen, das deutsche Volk 
wird aber auch diesen Kampf siegreich bestehen. Wenn die Gegner trotz der 
katholischen Universalität plötzlich allerlei partikularistische Neigungen offenbaren 
und in ihrem Entwurfe die Hoffnung aussprechen, es werde das neue Reich 
die Erhaltung berechtigter Besonderheiten der einzelnen Stämme gewährleisten, 
so kann ich versichern, daß sich meine engere Heimath Bayern für die Con- 
servirung ihrer unzähligen Rechte und Rechtlein bestens bedankt. Die be- 
rechtigten Eigenthümlichkeiten der Stämme werden am Besten durch sie selber 
gewährleistet und nicht durch die Conservirung gewisser Gesetze. Die Franken, 
Schwaben, Bayern sind geblieben, was sie waren, trotz der Vereinigung unter 
der bayrischen Krone. v. Oheimb (kons., früher Minister von Lippe-Detmold): 
Als Mitglied der freien Adreßkommission habe ich die Pflicht, zu konstatiren, 
daß wir bereit waren, den Wünschen des Centrums, das sich zu unserm Be- 
dauern als eine confessionelle Fraktion konstituirt hat (Widerspruch), Rechnung 
zu tragen; wir waren bereit, die vom Abg. v. Ketteler gerügten Sätze zu 
ändern. Aber die Herren erklärten von vornherein alle Aenderungen für 
nutzlos, sobald wir nicht ganz und gar auf ein Betonen des Princips der 
Nichtintervention verzichteten. v. Bethusy-Huc (freikons.): Auch von dieser
	        
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