98 Das deutsche Reich und seine einjelnen Glieder.
15. März. (Preußen.) Herrenhaus: genehmigt einstimmig das Budget für
1872. Der Finanzminister Camphausen beleuchtet bei dieser Gelegen-
heit die günstige Lage der preuß. Finanzen:
„Meine Herren! In Ihrer Commission ist die Frage erörtert worden,
ob sich die Finanzlage des Staats als eine günstige bezeichnen lasse, oder nicht.
In dieser Beziehung wird es sehr darauf ankommen, welche Ansprüche man
zu erheben gedenkt. Eins wird jedenfalls nicht zu bestreiten sein, daß in
der Finanzlage ein wesentlicher Umschwung eingetreten ist. Wenn Sie sich
vergegenwärtigen, daß noch nicht drei Jahre verflossen sind, seitdem in diesem
Raume zahlreiche Steuerprojecte erörtert wurden, daß von allen diesen Steuern
keine ins Leben getreten ist, daß seitdem der Staat auf mannichfache Ein-
nahmen Verzicht geleistet hat, daß er das Landbriefbestellgeld hat fallen lassen,
daß er die Besteuerung der Mühlen ermäßigt hat, daß er die Gesindebücher
in Zukunft nicht mehr mit einer Steuer belegen will, daß wir demnach ohne
Steuererhöhung, nur durch eine Vermehrung der Einnahmen, wie sie durch
den natürlichen Lauf der Dinge herbeigeführt worden ist, in die Lage gebracht
worden sind, für das Jahr 1872 an Ausgaben 14,445,447 Thlr. mehr zu
verwenden, so würde man, glaube ich, bei einigermaßen bescheidenen Ansprüchen
zu der Anerkennung berechtigt sein, daß unsere Finanzlage eine sehr günstige
sei. Diese 14,445,447 Thlr., die wir für das Jahr 1872 mehr verwendeten
als für das Jahr 1871, bilden sich aus dem Ueberschuß, den das Jahr 1870
gewährt hat, von 6.206,260 Thlrn.; sie bilden sich ferner aus Mehrüber-
schüssen, welche die Veranschlagung, und zwar eine ungemein solide vorsichtig
gehaltene Veranschlagung unserer Staatseinnahmen für 1872 ergibt, gegen
das Vorjahr um eine Summe von 4,652,987 Thlr.; sie bildet sich dann
ferner einmal aus einer sehr großen Ersparniß an Matricularbeiträgen, die
sich belaufen wird auf 2,047,000 Thlr., und endlich aus einer sehr großen
Ersparniß an Ausgaben für die Verzinsung der Staatsschulden, die sich be-
laufen wird für dieses Jahr aus 1,539,200 Thlr. Das macht in Summa
den vorhin von mir angegebenen Betrag. Dabei ist nun anzuerkennen, daß
wir statt dieser 14,445,447 Thaler eine Summe von 4,003,000 Thalern
weniger würden verausgaben können, wenn nicht das Consolidationsgesetz ins
Leben getreten wäre, und wenn uns dieses nicht in den Stand gesetzt hätte,
die für die betroffenen Anleihen zur Schuldentilgung zu verwendende Summe
zu den laufenden Staatsausgaben zu bestimmen. Aber, meine Herren, wäh-
rend wir diese 4,003,000 Thlr. nicht in der gewöhnlichen Weise zur Schulden-
tilgung bestimmt haben, sind wir in die Lage gebracht worden, ganz unge-
wöhnlich große Beträge auf die Schuldentilgung zu verwenden. Nach den
Vorschlägen der Staatsregierung, welche die Zustimmung der beiden Häuser
des Landtags gefunden haben, haben wir den Staatsschatz von 30,000,000
Thlrn. dazu bestimmt, um die 5procentige Anleihe von 1859 zu tilgen. Das
wird im Laufe dieses Jahrs geschehen; die Kündigung ist erfolgt, und am
1. Juli d. J. erfolgt die Rückzahlung. Durch diese Maßregel, die 26,600,000
Thaler — ich nenne hier nur die runde Summe — in Ansprulh nehmen
wird, wird das Budget auf die Dauer um 1,800,000 Thlr. entlastet. Den
Ueberrest von 26.600,000 Thlrn. bis zu den 30 Millionen haben wir dazu
bestimmt, um Renten, die mit dem 20fachen Betrag abgelöst werden können,
zu tilgen. Außerdem ist von den Häusern des Landtags die Ermächtigung
ertheilt worden, die Summen, welche für die creditirten Steuerbeträge bisher
aus den preußischen Mitteln vorgeschossen werden mußten, und die uns jetzt,
vermöge einer andern vom Reiche getroffenen Einrichtung zur Verfügung ge-
stellt werden, dazu zu verwenden, einmal, um 9 Millionen aus früher ge-
währten Crediten an consolidirter Anleihe zu tilgen, und zweitens, um den
Rest, den wir bei der Vorlage des Gesetzentwurfs auf 2,600,000 Thlr. ver-
anschlagt haben — indem die ganze Summe der Steuercredite auf 11,600,000