Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. 
im Bereiche des „gerichtlichen Verfahrens" im Sinne des Art. 4 Nr. 13 der 
Reichsverfassung lägen und da, wo die Grenzen streitig seien, der Weg loyaler 
Verständigung sich mehr empfehlen dürste. Unter allen Umständen sei wün- 
schenswerth, daß die einseitige Aufstellung eines ersten Entwurfes des Ge- 
setzes über gemeinsame Bestimmungen flr die Gerichtsverfassung vermieden 
werde und daß sich Vertreter der am Meisten betheiligten Staaten schon bei 
dem ersten Aufbau des Gesetzes durch persönlichen Zusammentritt und 
eingehende mündliche Berathung aller sich darbietenden Fragen betheiligten. 
Württemberg wiederholt, daß es gegen eine Competenzausdehnung von Fall zu 
Fall keine Einwendungen haben würde. Aber die Grenzen der Verfassung müßten 
streng inne gehalten werden. Was die Gerichtsorganisation und die Organi- 
sation des Gerichtsverfahrens angeht, auf welche sich der Lasker'sche Antrag 
ebenfalls bezieht, so würde Württemberg dankbar dafür sein, wenn es von 
dem Stande der Angelegenheit unterrichtet würde. Eine Reform in dieser 
Nichtung sei möglich ohne Aenderung der Verfassung, ohne Competenzerweite- 
rung, auf dem Wege freier Verständigung. Sachsen schließt sich den Aus- 
führungen Bayerns und Württembergs im Wesentlichen an. 
9.— 11. April. (Preußen.) Conferenz der preußischen Bischöfe in Fulda. 
Der Erzbischof von Posen fehlt und ebenso der Feldpropst Namcza- 
nowski, da sein Bisthum in partibus inticelium liegt. Die Bischöfe 
wollen sich dem Schulaufsichtsgesetz fügen, doch wird eine Verwahrung 
an den Cultusminister und ein gemeinsames Hirtenschreiben an den 
Clerus erlassen. 
In dem letztern vom 11. d. M. datirten Hirtenbriefe erklären die Bischöfe, 
daß sie bei den „schweren Bedenken, welche kirchlicherseits diesem Gesetze ent- 
gegenstehen“, alles gethan hätten, um die maßgebenden Faktoren von dessen 
Erlasse abzuhalten, und daß sie, von der Ueberzeugung seiner Gefährlichkeit 
für Staat und Kirche durchdrungen, dem nunmehr vollendeten Gesetze ihre 
Billigung nicht zuwenden könnten. Weil jedoch ihr bischöfliches Amt sie dazu 
dränge, das Möglichste zu thun, um jene Gefahren zu vermindern, und weil 
keine Macht der Erde sie von der Sorge für die christliche Erziehung der 
Jugend entbinden könne, seien sie entschlossen, auch zu Gunsten der im Princip 
von der Kirche losgerissenen Volksschule ihre Pflichten treu zu erfüllen, insoferne 
ihnen dieß nicht unmöglich gemacht werde, uud sähen sich daher zu nachstehenden 
Anordnungen veranlaßt: „1) Jeder Pfarrer hat die Lokalinspektion in der 
Schule seiner Pfarrei zu führen, ohne daß es einer besonderen bischöflichen Ge- 
nehmigung bedarf. 2) Dagegen ist eine solche Genehmigung nöthig, wenn 
es sich um Uebernahme der Kreisschulen-Inspektion oder einer Ortsschul-In- 
spektion außer der eigenen Pfarrei handelt. Für die bereits fungirenden 
Schulinspektoren dieser Kategorie soll es einer solchen Genehmigung nicht be- 
dürfen. 3) Für den Fall, daß an geistliche Schulinspektoren in Beziehung 
auf ihr Amt Anforderungen gestellt werden sollten, welche mit ihren priester- 
lichen oder kirchlichen Pflichten collidiren, werden dieselben nicht ohne vorher- 
gängiges Benehmen mit dem Ordinariate ihr Schulamt niederlegen. 4) Auch 
wird von dem betreffenden Geistlichen Anzeige an die bischöfliche Behörde er- 
fordert, sobald die ihm übertragene Schulinspektion staatlicherseits widerrufen 
wird oder anderweitige bemerkenswerthe Veränderungen im Bereiche seiner 
Amtswirksamkeit vorkommen sollten. 5) Zu Euch aber, theure Mitbrüder, 
haben wir das Vertrauen, daß Ihr fortan mit verdoppeltem Eifer den Reli- 
gionsunterricht ertheilen und pflegen und in dem hochverdienstlichen Werke 
der christlichen Erziehung und gesammten Bildung der Jugend nicht ermüden 
werdet. 6) Darum werdet Ihr den Lehrern, Euren Mitarbeitern, mit 
Achtung, Liebe und Theilnahme entgegenkommen und ihnen durch Euer Wort, 
Euer Wirken und Euer Leben stets Vorbilder eines frommen, gottgefälligen
	        
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