Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 117 
aus der Einnahme zu streichen. Wenngleich man zugeben wolle, daß eine gänz- 
liche Beseitigung der Steuer namentlich im Interesse der ärmeren Bevölkerung 
wünschenswerth sei, so dürfe man doch wiederum nicht außer Acht lassen, daß 
dies nicht so plötzlich geschehen könne, weil die Einnahme zu bedeutend sei, um 
sie, ohne einen Ersatz zu bieten, in Wegfall zu bringen. Da jedoch die Ein- 
nahmen des Reiches in fortwährender Steigerung sich befänden, so würde es 
sich weit eher rechtfertigen lassen, ein allmäliges Vermindern der Einnahmen 
aus dieser Steuer herbeizuführen dadurch, daß man von Zeit zu zZeit eine 
Ermäßigung dieser Steuer eintreten lasse. Um aber in dieser Beziehnng ein 
möglichst einmüthiges Vorgehen des Reichstages zu erzielen, wird beschlossen, 
auch die Ubrigen Fraktionen des Neichstages zur Theilnahme an diesen Be- 
rathungen aufzufordern und ihnen den Vorschlag zu machen: die Einnahmen 
aus dieser Steuer bei der Etatsberathung um ein Drittel zu vermindern, so 
daß dann die Salzsteuer auf zwei Drittel ihres bisherigen Betrages herab- 
gesetzt würde. 
19. „ (Bayern.) II. Kammer: genehmigt das ganze Budget des Cul- 
tus= und Unterrichtsministeriums mit allen seinen Unterabtheilungen 
und Anhängseln in einer Sitzung, 
und zwar ohne irgend welche Kämpfe zwischen den beiden Parteien. Ob- 
wohl Sepp im Interesse des Friedens, wie er meint, dagegen protestirt, wer- 
den sogar von beiden Seiten des Hauses die Wünsche angenommen: es möchten 
Lehrstühle der Philosophie und Kirchengeschichte an den Universitäten in München 
und Würzburg mit solchen Professoren besetzt werden, die es den Bischöfen mög- 
lich machen, die Canditaten der Theologie Universitäten frequentiren zu lassen, 
und: im Interesse der kathol. Jugend und in Rücksicht auf die Stiftung der 
Universität und auf die speciellen Stiftungen, sei der akademische Gottesdienst 
durch einen römisch-katholischen Priester wiederherzustellen. Ja, die gegenscitige 
Toleranz geht noch weiter. Nicht nur die Domherren, Pfarrer und Coopera- 
toren der Katholiken, die Consistorialräthe, Pfarrherren und Vicare der Pro- 
testanten werden in ihren Gehalten und Bezügen erheblich aufgebessert, sondern 
zum erstenmal seit es in Bayern ein Budget gibt, wird auch eine Position 
für den israelitischen Cultus in dasselbe ausgenommen, wenn eine auch nur 
kleine Summe zur Unterstützung gering dotirter Rabbinatsstellen. 
20. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Der Finanzminister macht, durch eine 
Interpellation des Abg. Nichter dazu veranlaßt, die Mittheilung, daß 
der Gesammtüberschuß aus den Einnahmen des vorigen Jahres die 
erstaunliche Höhe von 9,273,320 Thlrn. erreicht, welches glänzende 
Ergebniß hauptsächlich der Mehreinnahme aus der Eisenbahnverwal- 
tung und aus der indirecten Steuerverwaltung zuzuschreiben ist, wäh- 
rend die Classen= und Gewerbesteuer, sowie die Einnahme aus der 
Justizverwaltung einen erheblichen Ausfall ergibt, letztere über eine 
Million. 
Trotzdem erklärt der Finanzminister, daß die Regierung, wenn sie auch 
die Möglichkeit nicht bestreite, doch nicht eher auf die Zeitungs= und Kalender- 
steuer verzichten könne und wolle, als bis sie die minder bemitlelten Volks- 
klassen von der Steuerlast befreit habe. 
23.—26. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Berathung des Reichs- 
beamtengesetzes. Dasselbe wird mit ziemlich großen Mehrheiten sehr 
stark in liberalem Sinn modifizirt, so daß Delbrück das Scheitern 
des Gesetzes im Bundesrathe in Aussicht stellt. 
So wird trotz alles Stemmens von Delbrück beschlossen, daß durch die
	        
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