Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
unzuverlässigen Nachrichten der Presse beschränkt, und kennen den innern Zu- 
sammenhang der Thatsachen nicht. Ich bedaure den Vorfall auf das tiefste; 
auf welcher Seite aber die Schuld an diesem Vorfall und an dessen jetzigem 
Verlaufe liegt, das zu beurtheilen, bin ich im Augenblicke nicht in der Lage; 
es würde dazu eine genauere Kenntniß der Verhältnisse erforderlich sein und 
die Gelegenheit, auch den anderen Theil zu hören. Der zum Botschafter er- 
nannte Cardinal steht zu dem Papste in den intimsten Beziehungen, er gehört 
zu dessen Hausprälaten und ist durch seinen Eid gebunden, demselben in jedem 
Augenblick der Noth zur Seite zu stehen. Trotzdem reiste derselbe schon am 
22. September 1870 nach Deutschland ab, als die italienischen Truppen in 
Rom einrückten. Einen Auftrag vom Papst hatte er hierzu nicht. Seitdem 
weilt er in Deutschland, ohne daß man erfährt, welche Geschäfte ihn hier 
fesseln. Als man ihm seitens der deutschen Reichsregierung das Amt eines 
Gesandten antrug, wäre es Sache des Cardinals gewesen, dasselbe nicht so 
ohne Weiteres zu acceptiren, sondern zunächst seinen Dienstherrn darum zu 
befragen. (Heiterkeit und Widerspruch.) Ja, meine Herren, er bezieht sein 
Gehalt aus der päpstlichen Kasse und hat dem Papste Gehorsam geschworen, 
es ist also ein reguläres Dienstverhältniß, wie es nur eins geben kann. Was 
würden Sie sagen, wenn Se. Heiligkeit den Generaladjutanten des Kaisers 
zu seinem Nuntius ernennen wollte! und ein Cardinal ist doch noch etwas 
ganz anderes, als ein Generaladjutant. Wenn der erwähnte Cardinal also 
das ihm angetragene Amt annahm, ohne seinen Dienstherrn zu fragen, so 
verkannte er seine Stellung in einer Weise, welche es mir zweifelhaft macht, 
ob er der geeignete Mann für ein so delikates und schwieriges Amt ist. — 
Es ist von dem Herrn Reichskanzler darauf hingewiesen, daß es das erstemal 
sei, daß ihm ein solcher Fall vorgekommen; er darf aber nicht Übersehen, daß 
es wohl auch das erstemal gewesen ist, daß man den Diener eines fremden 
Herrn in dieser Weise zu seinem eigenen zu machen versucht. Es pflegt sonst 
üblich zu sein, derartige Dinge sehr vertraulich zu behandeln und nicht eher 
damit an die Oeffentlichkeit zu treten, als bis man sich vergewissert hat, daß 
kein Dementi folgt. Im vorliegenden Falle hat man lange vorher officiell 
und officiös darüber gefprochen. Der Reichskanzler betonte kürzlich die Noth- 
wendigkeit der Discretion der Beamten im auswärtigen Amt und wies darauf 
hin, daß mit unnachsichtlicher Strenge darauf gehalten werde; wie kommt es, 
daß die Angelegenheit trotzdem in die Oeffentlichkeit gekommen ist Die Zu- 
sicherungen, einen anderen geeigneten Vertreter zu suchen und Alles zu thun, 
um die berechtigten Wünsche der katholischen Angchörigen des Reiches zu be- 
friedigen, haben mich mit Freude erfüllt, und ich wünsche nur, daß den guten 
Intentionen nicht anderweitig Hindernisse bereitet werden. Conventionen mit 
dem heiligen Stuhle, wenn sie gehalten wurden, haben immer gute Früchte 
getragen. Das lehrt das Beispiel Preußens. Heute will man von Concor= 
daten nichts mehr wissen; man will sich „auf sich selbst stellen“". Ein stolzes 
Wort, das aber nur da zur Wahrheit werden kann, wo man in seiner eigenen 
Sphäre bleibt. Sind andere Theile dabei interessirt, dann ist eine Lösung 
nicht möglich ohne eine Verständigung, und auf solchen Verständigungen hat 
immer Segen geruht, sie sind es, durch die Preußen groß geworden ist. 
Wollen Sie also diese Verhältnisse gesetzlich regeln, so wird nur etwas Gedeih- 
liches daraus werden unter der Mitwirkung des Papstes. (Widerspruch links.) 
Sie widersprechen, aber die Thatsachen sind mächtiger als Sie. Sie wollen 
eine vollständige Loslösung des Staates von der Kirche. Ich bin gern bereit, 
die amerikanische kirchenpolitische Stellung zu acceptiren, wenn Sie die mir 
in Amerika vorhandenen Vorbedingungen geben wollen. Die Schwierigkeiten 
einer Trennung der Kirche vom Staate liegen viel weniger in der katholischen 
als in der protestantischen Kirche, die mit jenem viel inniger verwachsen ist 
und durch eine Loslösung vielleicht tödtlich verletzt wird. Fürst Bismarck: 
Der Vorredner hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß der zum 
 
	        
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