Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und feine einzelnen Slieder. 129 
Botschafter designirte Cardinal nicht seinerseits nach Rom gegangen sei, um 
sich die Antwort zu holen. In der Sache waren zwei Antworten zu geben, 
die eine an den Kaiser, der durch sein amtliches Organ bei der römischen 
Curie angefragt hatte: Ist Euch dies recht? Die zweite an den Cardinal. 
Wenn ich recht unterrichtet bin, so ist die Antwort an den Cardinal, das 
Verbot der Annahme enthaltend, sehr viel früher als die Antwort an den 
Kaiser erfolgt. (Hört!) Nachdem ich davon üÜüberzeugt war, schien es mir 
doch nützlich, daß der Kaiser nun seinerseits auch eine Antwort erhalte, und 
in Folge dessen habe ich später, ich weiß nicht fünf oder acht Tage später 
den Wunsch ausdrücken lassen, daß wir eine Antwort haben möchten. Die 
hierauf bezüglichen Aktenstücke hat die „Norddeutsche Allgemeine“ ohne Zweifel 
authentisch mitgetheilt. Auf die Kritik des Cardinals, die der Vorredner von 
der Tribüne aus gelbt hat, will ich nicht eingehen, nur auf das Wort 
„Dienstherr“ will ich mit einem Wort zurückkommen. Der Vorredner ist in 
der Geschichte gewiß bewandert, so weit sie die kirchlichen Verhältnisse berührt: 
ich frage ihn: wer war der Dienstherr der Cardinäle Richelien und Mazarin? 
Beide Herren haben im Dienst ihres Souveräns, des Königs von Frankreich, 
recht oft Streitfragen mit dem römischen Stuhle, obwohl sie Cardinäle waren, 
zu erledigen und zu vertheidigen gehabt. Also so ganz durchschlagend ist der 
Vergleich des Cardinal-Botschafters mit dem Cardinal-Adjutanten doch nicht, 
obschon, wenn es Sr. Heiligkeit gefiele, hier einen General-Adjutanten zum 
Nuntius zu ernennen, ich dem Kaiser augenblicklich zureden würde, ihn als 
einen solchen anzunehmen. (Stürmische Heiterkeit.) Der Vorredner hat es 
bemängelt, daß Diese ganze Verhandlung früher in die Oeffentlichkeit gelangt 
ist, als mit der von mir beanspruchten Verschwiegenheit im auswärtigen Dienst 
verträglich ist. Ich kann nun aktenmäßig nachweisen, daß die Veröffentlichung 
in Rom früher stattgefunden hat, als von unserer Seite. Die päpstliche Curie 
machte aus der Ablehnung kein Geheimniß, sie machte den dortigen Gesandten 
darüber unumwundene Mittheilung. Von diesem Augenblick an war es für 
uns Überflüssig, das Geheimniß länger zu bewahren. Ich glaube, daß es bis 
dahin der Presse gegenuber bewahrt war. Ich habe Indicien dafür, daß es 
von Rom aus der Presse gegenüber nicht bewahrt worden ist. Ich hatte eine 
leise Hoffnung, der Vorredner werde mir darüber seinerseits Auskunft geben 
können, wie das Geheimniß so früh in die Oeffentlichkeit hat dringen können. 
Ich weiß nicht, ob auf sein Zeugniß darüber zurückgegriffen werden kann. 
Sollte es mir aber gelingen, die Quelle zu entdecken, so kann ich nach den 
mir mündlich zugekommenen Indicien versichern, daß ich das Zeugniß des 
Vorredners provociren werde. Die Frage, wie das Geheimniß in die Oeffent- 
lichkeit kam, gebe ich ihm zurück; ich bin Überzeugt, er weiß mehr davon als 
ich. Er hat in anderer Beziehung meine Ansichten als reim Fersönlich darge- 
stellt. Dies ist auch, soweit ich nicht im Namen der verbündeten Regi#rungen 
sprechen kann, richtig. Da ich aber eine Persönlichkeit von Einfluß in diesen 
Sphären bin, so ist es immerhin von Interesse meine persönlichen Ansichten 
kundzugeben darüber, wie man etwaigen Gefahren, die dem Staate drohen, 
entgegenwirken kann. Der Vorredner hofft durch einen Vertrag zu einer 
Regelung dieser Angelegenheit zu gelangen und hat, wenn ich ihn richtig ver- 
standen habe, Andeutungen Über das System solcher Verträge gemacht, die 
ich nicht ganz begründet finden kann. Es ist schon oft über die Form einer 
solchen Auseinandersetzung mit der Kirche gestritten vorden: ich bin ein Feind 
aller Conjckturalpolitik und aller Prophezeiungen; das wird sich ja finden. 
Das aber kann ich ihm versichern, daß wir gegenüber den Ansprüchen, welche 
einzelne Unterthanen des Kaisers geistlichen Standes erheben, daß es Landes- 
geseye gebe, die für sie nicht verbindlich seien, daß wir allen solchen Ansprüchen 
gegenüber die volle Einheit der Souveränetät des Staates mit allen uns zu 
Gebote stehenden Mitteln aufrecht erhalten werden (Beifall) und daß wir in 
dieser Beziehung auch der vollen Unterstützung der großen Maioritöt beider 
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