Das deutsche Relch und seine einzelnen Glieder. 135
jenigen unter den Altkatholiken, welche dem Grundsatze huldigen, be-
züglich der Lehre auf die ersten vier Jahrhunderte der Kirche zurück-
zugchen ihre volle Zustimmung aus, indem auf diesem Grunde eine
Vereinigung der Confessionen möglich sei.
22. Mai. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler geht in Urlaub nach
23.
1n
Varzin.
„ (Preußen.) Die halbamtliche Prov.-Corr. spricht sich über den
Beschluß des Reichstags gegen den Jesuitenorden folgendermaßen aus:
„Die Bedeutung des Beschlusses beruht vor Allem auf der Einmüthigkeit
aller Parteien in Betreff der Nothwendigkeit, die Souveränectät des Staats
und den religiösen Frieden gegen kirchliche Ausschreitungen von Reichswegen
zu sichern. Die Kundgebung der Überwiegenden Mehrheit des Reichstages
stimmt ferner nach ihrem wesentlichen Inhalt und nach der näheren Begrün-
dung, welche sie in den Berathungen gefunden hat, durchaus mit der vom
Reichskanzler vor kurzem angedeuteten Richtung der kirchlichen Politik der
Reichsregierung überein. Die Regierung hatte es vermieden, sich bei den
Verhandlungen Über die Petitionen irgendwie zu betheiligen, einerseits, weil
der Bundesrath noch nicht in der Lage gewesen war, sich über seine Stellung
zu den Pctitionen schlüssig zu machen, andererseits, weil es angemessen erschien,
die Ieireng des Reichstags zur Sache völlig frei und unbeeinflußt hervortreten
zu lassen
„ (Preußen.) Das Consistorium der Provinz Brandenburg be-
schließt trotz des Widerstands, den sein Vorgehen bereits hervorgerufen
hat, die förmliche Disciplinaruntersuchung gegen den greisen Prediger
Sydow:
„ da die durch ihn erfolgte Veröffentlichung seiner Ansichten in der evan-
gelischen Landeskirche ein schweres Aergerniß gegeben hat, so mußte trotz seines
hohen Alters und seiner langen Amtsführung die Einleitung der förmlichen
Disciplinar-Untersuchung gegen ihn auf Grund der §8 73 und 103 Tit. 11
Theil II. des Allgem. Landrechts beschlossen werden.“
„ (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Berathung des Gesetzes-
entwurfes betr. die Errichtung eines obersten Rechnungshofes für das
dcutsche Neich. Die Liberalen siegen mit allen ihren Amendements,
obgleich der clericale Windthorst-Meppen eine sehr eigenthümliche Di-
version zu Gunsten der Regierung macht. Das Centrum stimmt
indeß getheilt.
In der Debatte tritt der Absolutismus der preußischen Regierungsanschau-
ungen in Gegensatz gegen das, was man in Süddeutschland constitutionell
heißt, ziemlich grell zu Tage. Die Liberalen meinen, es sei doch nicht unbe-
scheiden, wenn der Reichstag verlange, der Rechnungshof solle ihm die Rech-
nungen Über die Finanzwirthschaft so weit vorbereiten, daß er der Regierung
Decharge ertheilen kann? es sei doch nicht in die Executive eingegriffen, wenn
der Reichstag das Recht erhalte, selbständig Rückfragen an den Rechnungshof
zu richten, die dieser zu beantworten verbunden sei. Gerstner aus Würzburg
berichtet zur lebhaften Genugthuung der vereinigten Liberalen, daß in Bayern
und Sachsen dieses Recht der Landesvertretungen, Fragen an die betreffende
Rechnungsbehörde zu richten, ein unbestrittenes und stets gelbtes sei, daß den
Kammern auf Verlangen sogar die Original-Zwischen= und Unterrechnungen
vorgelegt werden. In Preußen ist das nicht, im Reiche soll es nicht der Fall