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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
zu legen. Es ist die Frage, ob Sie nicht weiter kommen, wenn die Glieder
lebendig bleiben. Ich glaube, daß die freiheitliche Entwicklung des Reiches
dadurch mehr gefördert wird. (Bravo im Centrum, Zischen links.) In dem
Lande, welches ich hier zu vertreten habe, herrscht gerade Üüber die gegenwärtige
Frage eine sehr erhebliche Meinungsverschiedenheit. Ich stehe meinerseits in
Bezug auf die Stellung der Regierung zu Verfassungsänderungen vollkommen
auf dem Standpunkte, den melne bayerischen und württembergischen Collegen
in ihren Kammern vertreten haben, daß nämlich Verfassungsveränderungen
für das Reich auch ohne die Kammern vorgenommen werden können. Aber
diese Befugniß schließt auch die Verantwortlichkeit in sich, daß keine Re-
gierung eine so wichtige Veränderung vornehmen kann, ohne daß sie die
Stimmung des Landes in Betracht gezogen hat. Dieß die Gründe für unser
bisheriges Verhalten. Der sächsische B.-R.-B. Held erklärt, daß die
sächsische Negierung die von Fäustle entwickelten Ansichten theile und sich damit
auch in Uebereinstimmung mit dem sächfischen Landtage befinde. (Widerspruch.)
Der letztere habe allerdings den Wunsch nach einem einheitlichen deutschen
Civilrecht ausgesprochen, verlange dasselbe jedoch nicht auf dem Wege der
Reichsgesetzgebung. Er stimme also mit dem Lasker'schen Antrage im Ziele,
aber nicht in den Mitteln zu diesem Ziele überein. Württembergischer
Justizminister Mittnacht: Rechnen Sie es den Angriffen zu, welche wir
heute und insbesondere soeben gehört haben, wenn ich als Vertreter einer der
von dem Herrn Vorredner (Miquel) so genannten renitenten, in Wirklichkeit
aber von einem verfassungsmäßigen Rechte Gebrauch machenden Regierungen,
die durch Drohungen sich nicht irre machen lassen werden, mit meiner Ansicht
heute auch nicht zurlickhalte! Ich bekenne, ich kann mich der Ansicht nicht
verschließen, daß die Particulargesetzgebung der kleineren und der mittleren
deutschen Staaten schon nach der jetzigen Lage der Verhältnisse zu größeren
Rechtsschöpfungen auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, abgesehen von der
neuen Ordnung speciell particularrechtlicher Institutionen, kaum mehr gelangen
wird. Nachdem das Strafrecht, das gerichtliche Verfahren, das Handelsrecht
und das Obligationenrecht dem Reiche zugewiesen sind, werden unwillkürlich
bei jeder größeren gesetzgeberischen Aufgabe auf dem ganzen Gebiet des bürger-
lichen Rechts die Blicke auf das Reich sich richten, um so mehr, als bei der
Stimmung dieser hohen Versammlung, und nachdem, was ja eines der er-
wähnten öffentlichen Geheimnisse ist, auch die größte deutsche Regierung jetzt
der Ausdehnung der Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung auf das gesammte
bürgerliche Recht sich geneigt gezeigt hat, die Frage kaum mehr zur Ruhe
kommen, von der Tagesordnung nicht mehr verschwinden wird, was zwar die
verehrten Herren Redner heute zum Ueberfluß noch ausdrücklich versichert haben.
Ich bekenne ferner, daß die Grenzbestimmungen der Nr. 13 des Art. 4 der
Reichsverfassung keine glückliche ist — obwohl sie, wenn ich mich nicht täusche,
auf einem Antrage des Herrn Abg. Lasker beruht —, daß diese Grenzbe-
stimmung vielmehr eine solche ist, von welcher der unbefangene Jurist eigentlich
auf den ersten Blick muß, daß sie ohne wirklich große Unzuträglich-
keiten und ohne des berechtigten Zweckes der Nr. 13 selbst nicht
durchaus streng werden kann. Deßwegen habe ich persönlich auch
gar keinen Anstand genommen, mich an anderen Orten schon früher öffentlich
dahin auszusprechen, daß es sich als ein Bedürfniß erweisen möchte, das hier
der Reichsgesetzgebung zugewiesene, aber durch den Buchstaben der Reichsver-
fassung wohl zu eng begrenzte Gebiet zu erweitern. Aber, meine Herren, es
sind doch noch verschiedene Ansichten und verschiedene Bedenken möglich Über
das Maß dieser Erweiterung, Über den richtigen Augenblick der vorgeschlagenen
Competenzausdehnung und über die angemessene Art und Weise, sie zu be-
werkstelligen. Was das Maß der Erweiterung anlangt, so wird es doch
immerhin eigenthümlich genannt werden dürfen, daß gerade hier in so scharfer
Faffung und, man möchte glauben, in sprachlich gar nicht gebotener Weise,