Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 143
das gesammte bürgerliche Recht für die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung
vindicirt wird, während, wie das, glaube ich, mit vollem Rechte von dem
königlich bayerischen Herrn Bevollmächtigten bereits angeführt wurde, unter
den verbündeten Regierungen sowohl, als auch in Mitte dieser hohen Ver-
sammlung man so ziemlich einverstanden darüber ist, daß es gerade im Privat-
rechte gewisse Gebiete gibt, auf welchen die Reichsgesetzgebung ihr Feld nicht
hat, oder auf welchem sie doch nur in beschränkter und subsidarischer Weise
thätig sein kann. Diese Gebiete sind von mehreren Nednern bereits genannt
worden. Nun muß es doch wohl als ein Mangel des Antrags und nicht
als ein Fehler Derjenigen, die ihm zuzustimmen noch Bedenken tragen, er-
scheinen, wenn die Fassung des Antrages weiter zu gehen scheint, als er eigent-
lich bezielt, wenn mit besonderer Betonung das gesammte bürgerliche Recht der
Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung zugewiesen werden will, während man in
Wirklichkeit glaubt oder wenigstens nicht bestreitet, daß nicht das gesammte
bürgerliche Recht durch die Reichsgesetzgebung geordnet werden soll, wenn also
in die Reichsverfassung eine Formel hineingetragen wird, die dem Gedanken
der ausgesprochenen Intention nicht vollkommen adäquat ist. Es wird aller-
dings bemerkt, es sei eben nicht möglich, für den Ausdruck dieses an und für
sich nicht unberechtigten Gedankens einer Beschränkung, eines Maßhaltens der
Reichsgesetzgebung im Gebiele des Privatrechts eine Formel zu finden, aber
ich wiederhole, daß dieß dann ein Mangel des Antrogs, nicht unser Fehler
ist. Wenn sodann weiter beruhigend hier gesagt wird, daß, wenn eigenar-
tige Rechtsbildungen lebenskräftig seien, diese Lebenskraft auch der Reichs-
gesetzgebung gegenüber sich bewähren und geltend machen werde, so scheinen
mir doch die Garantien dafür, daß eigenartige Rechtsbildungen stets rechtzeitig auch
nur zur vollen Würdigung der gesetzgeberischen Factoren des Reiches werden
gebracht werden, noch nicht in vollem Maße vorhanden zu sein, eine Befülrch-
tung, die aus dem, was ich nachher zu sagen die Ehre haben werde, ihre
Begründung finden wird. Was den rechten Zeitpunkt der vorgeschlagenen
Competenzerweiterung betrifft, so können Bedenken in dieser Beziehung eigent-
lich nicht überraschen, da es auch ein öffentliches Geheimniß ist, daß noch im
Juni 1869 der Bundesrath des norddeutschen Bundes so ziemlich einstimmig
der Meinung gewesen ist, dem Beschlusse des norddeutschen Reichstages,
demselben Beschlusse, wie er jetzt von Seiten des deutschen Reichstages in
Aussicht zu stehen scheint, zur Zeit eine Folge nicht zu geben. Meine Herren,
seitdem ist das deutsche Reich gegründet worden, nach Verhandlungen, die auch
auf den Inhalt dieser Nummer 13 des Artikels 4 sich bezogen haben. Es
waren Bedenken gegen diese Nr. 13 erhoben worden in der Richtung, daß sie
zu weit gehe, Bedenken, die eben nicht ganz leicht zu beseitigen waren. Diese
Bedenken sind überwunden worden, qber dafür, daß schon nach einem oder
nach anderthalb Jahren der Reichskag und der Bundesrath des deutschen
Reiches noch weiter gehen werden, dafür bieten wenigstens, soviel ich unter-
richtet bin, die Verhandlungen vom Herbst 1870 einen bestimmten Anhalts-
punkt nicht. Es hat zwar einer der geehrten Herren gemeint, ja, in Versailles
sei das deutsche Volk nicht gewesen; das ist richtig, aber es wurde, was in
Versailles vereinbart worden, der Vertretung des deutschen Volkes vorgelegt,
und diese Vertretung hat es genehmigt. Nun, der von mir angeführte Um-
stand ist ja gewiß ein formelles Hinderniß gegen die vorgeschlagene Ver-
fassungsänderung nicht, aber er wird doch den Wunsch erklären, daß wenigstens,
so lange von Seiten eines damaligen Contrahenten an Bedenken in dieser
Frage noch festgehalten wird, man die erforderliche Zeit zur Beilegung der
Sache behalte, daß sie nicht in einer Weise betrieben werde, die vielleicht für
die Erreichung des vorgesetzten Zieles gerade nicht die beste sein wird. So-
dann, meine Herren, stimme ich mit dem königlich bayerischen Herrn Bevoll-
mächtigten darin Überein: so gewiß die Verfassung des deutschen Reiches noch
Aenderungen erleiden wird und erleiden muß — vielleicht kommt ja noch die