Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 163 
wir über 50 protestantische Pfarrer, die ihre Unterwerfung unter den Primat 
bereits zugesagt haben, wenn ihnen gestattet würde, ihre Ehe fortzusehzen, und 
in Norddeutschland werden es noch mehr sein, wenn nur erst einmal Schwar- 
zenberg dreinzufahren hat. Es war die Hauptabsicht, durch den Sieg über 
die Preußen den Protestantismus zur Anerkennung der Kirche und des Papstes 
zu zwingen, denn so lange jener besteht, wird die deutsche Kaiserwürde nur 
ein zauberischer Wunsch bleiben. Das Kaiserreich muß wieder errichtet wer- 
den und die Ungarn, die Polaken und die Kroaten und Slovenen nehm' ich 
alle herein, und diese Schirmvoglei, mit den Bajonetten von 70 Millionen 
hinter sich, wird die dreifache Krone des Papstes wieder zur Gesetzgeberin 
Europa's machen. Für jetzt ist Schwarzenberg zu schwach gewesen seinen 
großen Gedanken durchzufÜhren. Aber die Kirche rastet nicht und mit den 
Mauernbrechern der Kirche werden wir diese Burg des Protestanlismus lang- 
sam zerbröckeln müssen. Wir werden in den vorgeschobensten norddeutschen 
Tistrikten die zerstreuten Katholiken sammeln und mit Geldmitteln unterstützen, 
damit sie dem Katholicismus erhalten und Pioniere nach auswärts werden. 
Mit einem Netze von katholischen Vereinen werden wir den altprotestantischen 
Hecerd in Preußen von Osten und Westen umklammern und durch eine Un- 
zahl von Klöstern diese Klammern befestigen und damit den Protestantismus 
erdrücken und die katholischen Provinzen, die zur Schmach aller Katholiken 
der Mark Brandenburg zugetheilt worden find, befreien und die Hohenzollern 
unschädlich machen.“" Der Gewährsmann der „N. Fr. Presse“ fügt hinzu. 
„Diese Worte fielen mir damals wegen der Kühnheit des Gedankens so auf, 
daß ich Herrn Buß als einen Phantasten verlachte, aber doch auch begann, 
über die Endziele der aufkommenden Jesuitenthätigkeit nachdenklich zu werden: 
Heute aber ist die Klammer im Osten und Westen in furchtbarer Weise auf- 
gestellt und zahllose Vereine sind thätig bis nach Schleswig-Holstein hinein 
Vorpostenlinien des Papstthums zu befestigen. Obige Worte haben aber 
darum heute Bedeutung weil der Grundgedanke und der Endzweck jener 
Klostermasse im voraus angekündigt war. Die seither thatsächlich geschehene 
Verwirklichung beweist nun, daß Herr Buß nicht phantasirte, sondern als 
Tiefeingeweihter vertrauensselig und voll Feuerenergie wirklich gefaßte Pläne 
ausgeplaudert hat.“ 
2. Juli. (Deutsches Reich.) Bundesrath: beschließt die Ausdehnung 
des Jesuitengesetzes auch auf Elsaß-Lothringen. 
„ —3. Juli. (Baden.) Versammlung des wissenschaftlichen Predigerver- 
3. 
eins in Karlsruhe. Anregung für eine evangelisch-protestantische 
Reichskirche. 
Der Vortrag des Pfarrers Ruckhaber aus Mannheim über „die Gestal- 
tung der evangelischen Kirche im neuen Reiche“ ruft eine lebhafte Debatte 
hervor. Zittel und Zandt weisen auf die Gefahren der Centralisation hin 
und heben hervor, daß der Protestantismus seinem Wesen nach die religiöse 
Bildung der Einzelgemeinde, nicht die Herstellung einer äußerlichen Kirchen- 
macht bezwecke; Schellenberg, Schnell und Höchstetter sprechen im Sinne der 
Neichskirche; Andere vermitteln, indem sie wohl eine Reichssynode, aber ohne 
eigentliches Reichskirchenregiment befürworten. Schließlich einigt man sich im 
allgemeinen dahin, daß die Reichslirche erst aus der Gemeindekirche hervor- 
wachsen, letztere also als das nähere Ziel anerkannt werden müsse. Dafür 
aber, daß, wie einer der Redner sich ausdrückte, „der Berliner Oberkirchenrath 
einfach seinen Hut über die Köpfe der deutschen Landeskirchen stülpe, um so 
den deutschen Protestantismus unter Einen Hut zu bringen“, sind in der Ver- 
sammlung keine Sympathien vorhanden. 
„ (Preußen.) Die halbamtliche Prov.-Corr. spricht sich über die 
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