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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
sucht in einem längeren Artikel den Beweis zu führen, daß durch das
Jesuitengesetz und die dazu gefaßten Vollzugsbeschlüsse des Bundesraths
allerdings auch jede seelsorgerliche Thätigkeit der Jesuiten betroffen
werde.
. . . Wenn man, wie die Stimmführer der ultramontanen Partei ver-
langen, die gegentheilige Behauptung gelten ließe, so wäre die Wirkung des
Gesetzes vom 4. Juli darauf beschränkt, eine Schließung und Auflösung der
Ordenshäuser herbeizuführen; die einzelnen Jesuiten selbst aber würden ihre
Thätigkeit auf der Kanzel, im Beichtstuhl, in Missionsversammlungen und in
der Schule nach wie vor fortsetzen können, sobald sie sich auf ihren priesterlichen.
Character oder auf einen bischöflichen Auftrag berufen. Selbstverständlich
haben derartige Deutungskünsie keinen Anspruch auf Berülcksichtigung .“
28. Aug. (Hessen.) Das bisherige Ministerium läßt noch den Entwurf
29.
eines neuen Wahlgesetzes für die II. Kammer an die Stände gelangen.
„ (Hessen.) Der Kronprinz des deutschen Reichs und von Preußen
trifst zur Truppeninspection in Darmstadt ein und wird daselbst vom
Großherzog, den Prinzen Alexander und Ludwig, den Behörden und
dem Stadtvorstande empfangen.
„ —31. Aug. Versammlung des deutschen Juristentags in Frankfurt. Die-
selbe wählt Gneist von Berlin zu ihrem Präsidenten und faßt Be-
schlüsse für Beibehaltung der Schwurgerichte und gegen den, wie man
allgemein annimmt in Berlin gehegten Wunsch, sie im ganzen Reich
durch Schöffengerichte zu ersetzen, über die Competenzabgränzung des
obersten Reichsgerichts, für eine internationale Einheit des Wechsel-
rechts zwischen Gesammteuropa und Nordamerika und über die Preß=
gesetzfrage.
Gneist bezeichnet in seiner Eröffnungsrede als das ruhig und consequent
anzustrebende Ziel, zu dem auch der heutige Juristentag nur eine Station
bilde, die Wiederherstellung des gemeinsamen deutschen Rechts und spricht die
Hoffnung aus, die Schaffung eines allgemeinen deutschen Gesetzbuchs bald zu
erleben. Das lebhafteste Interesse erregt die Frage, ob Schöffen gerichte
an Stelle der Schwurgerichte treten sollen. Appellrath Stenglein
(München) spricht sich in seinem Referate unter allgemeinem Beifall da-
hin aus, daß ehe man Erfahrungen über die Schöffengerichte gesammelt
habe, die vom Volksvertrauen getragenen Schwurgerichte nicht aufgegeben
werden dürften. Das Schicksal des Tags aber entscheidet eine Rede von Gneist,
welcher sich mit Energie für die Beibehaltung der Schwurgerichte erklärt und
nur eine Reform derselben verlangt, indem er eine selbständigere Stellung der
Geschwornen mit einer vereinfachten Fragestellung (auf die ganze Schuldfrage)
als das Nothwendigste bezeichnet. Generalstaatsanwalt Schwarze aus Dres-
den hat es nur seiner persönlichen Beliebtheit zu verdanken, daß die Abtheilung
sein langes Plaidoyer für die Schöffengerichte geduldig anhört; er vertritt
eine ganz unpopuläre Sache, und es bedarf seines ganzen Pathos, um
sich gegen den wiederholt gehörten Vorwurf zu vertheidigen, daß er mit
seiner Schöffenidee sich als „Fühler“ gebrauchen lasse. Als Schwarze
mit dem Ausrufe schließt, man werde in wenig Jahren mit ihm sich für
Schöffengerichte erklären, schallt ihm der donnernde Ruf entgegen: Abwarten!
Dagegen wird folgende Resolution des Oberstaatsanwalts v. Lauhn aus
Halberstadt angenommen: „Der Juristentag spricht seine Ueberzeugung dahin
aus, daß kein Bedürfniß vorhanden ist, die Schwurgerichte in den schweren