Das deulsche Reich und seine einzelnen Elieder. 173
Straffällen aufzuheben und mit Schöffengerichten zu vertauschen.“ Nicht mindern
Eifern erregt die Preßgesetzfrage. Die dritte Abtheilung beschließt auf den
Antrag des Dr. Jacques aus Wien: „1) die Hervorbringung und der Ver-
kauf von Erzeugnissen der Presse, die Colportage und das Anheften von Pla-
caten haben ausschließlich den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung zu
unterliegen; 2) eine Entziehung der Befugnisse zum selbständigen Betriebe
eines Gewerbes durch richterliches Erkenntniß im Falle einer durch die Presse
begangenen Zuwiderhandlung darf nicht stattfinden. Alle weiteren aus den
Grundsätzen des Präventivsystems abgeleiteten Beschränkungen, als insbesondere
die Cautions-, Concessions= und Stempelpflicht, zeitweilige oder dauerende Ein-
stellung des Erscheinens bei periodischen Zeitschriften, die Ueberreichung von
Pflichtexemplaren, die Entziehung des Postdebits, haben zu entfallen; 3) die
vorläufige Beschlagnahme von Druckschriften, ebensowohl die richterliche als
die administrative ist unzulässig“ und dazu die Resolution: „Preßdelicte sind
nach den allgemeinen strafrechtlichen und processualischen Grundsätzen zu beur-
theilen. Außerdem sind Fahrlässigkeitsstrafen im Falle der Vernachlässigung
der pflichtmäßigen Obsorge festzufetzen.“ Absatz 3 des Antrags wird nur mit
geringer Mehrheit in der Abtheilung angenommen; die Resolution aber mit
ziemlicher Mehrheit, obgleich mehrere Redner aus Bayern sich lebhaft gegen
denselben aussprechen, weil hiedurch Bayern einen sehr erheblichen Rückschritt
erlitte, insoferne die Preßprocesse, welche dort der Competenz der Schwurge-
richte unterstellt seien, denselben entzogen und den gewöhnlichen Gerichten über-
wiesen würden. Die Resolution wird aber auch vom Plenum angenommen,
dagegen Absatz 3 des Antrags (Beschlagnahmen) mit einer Übrigens nicht
großen Majorität verworfen. In seiner Schlußrede betont Gneist neuerdings
das Streben nach Rechtseinheit: Er begreife nicht, wie man gegen den leb-
haften Zug nach Centralisation in Deutschland sein könne. Erstens sei die
Centralisation nicht eine gar so große, und dann werde kein Billigdenkender
uns scheltlen können, wenn wir jetzt centralisirten, nachdem man in Deutschland
so lange einer einheitlichen Gesetzgebung entbehrt habe und tausend Bedürf-
nisse aufgestaut seien, die nun ihre Befriedigung forderten. Auch verlange
die heutige Entwicklung unserer Erwerbs= und Besitzesverhältnisse eine größere
Consolidation als in früherer Zeit. Das Zusammenwirken von Kaiser, Bun-
desrath und Reichstag müsse jede Furcht vor üÜbergroßer Centralisation
beseitigen; denn der Kaiser habe nur wenig wirkliche Hoheitsrechte und sehr
wenig Beamte; im Bundesrathe säßen viel centrifugale Elemente, die nur ein
großer beherrschender Geist zusammenhalten könne, und derartige Geister seien
vorlbergehend. Etwaige Centralisationsgelüste des Reichstags hindere von
selbst die große Arbeitslast, die auf den Abgeordneten ruhe. Die Fülle der
zu erledigenden Reichstagsarbeiten schränke von selbst durch die körperliche
Ermattung den Fanatismus der Abgeordneten ein, zu viel Gesetze zu machen,
zu uniformiren und zu rasiren. Biete denn die Landesgesetzgebung, das Zu-
sammenwirken von Landesherrn, Kammern, Partei= und Standesrücksichten
eine Garantie, Besseres und Unbefangeneres zu leisten, als mit der Reichs-
gesetzgebung?
30. Aug. (Deutsches Reich.) Der Kaiser trifft von seiner-Nachkur in
.——
Gastein wieder in Berlin ein.
„ (Bayein.) Hr. v. Gasser, während der ganzen Monate bemüht,
ein gemäßigt ultramontan-particularistisches Ministerium zir bilden, ist
damit noch nicht zu Stande gekommen, da er viele Ablehnungen erhält.
Die gemäßigt ultramontanen Blätter, Augsb. Postz. 2c., begleiten ihrerseits
die Bemühungen v. Gassers mit ihren lebhaftesten Wünschen, die extrem-ultra-
montanen bekämpfen es dagegen als eine „Halbheit“". So erklärt Sigl's
„Vaterland“ die „Postzeitg.“ mit ihrem „Semelschmarn“-Anhang für todt